Essen. Bücher mehr als nur einmal lesen und dabei Knöpfchen drücken? Ein E-Book-Praxistest mit dem beruhigenden Ergebnis: Auch für jüngere Herren kann das Gerät zum Problembuch werden, wenn man mehr als nur Häppchen lesen will.
Mein Grundgefühl war positiv. Aufgeschlossen, selbstbewusst, spielerisch, heiter. Neugierig. Wie vor der Begegnung mit einem potentiellen Geliebten; einem jüngeren. Ich lächelte bei dem Gedanken. Ich kann ziemlich ironisch sein.
1. Der Kauf
Es fing damit an, dass die nette junge Frau in der Buchhandlung sagte, nein, davon verstehe sie nichts. Gar nichts. Sie gab mir ein Exemplar zum Ausprobieren und ich drückte ein paar Knöpfe; die Sache schien überschaubar. Als ich 299 Euro über den Ladentisch reichte, strahlte die Verkäuferin und sagte, morgen sei auch die Frau Müller wieder da, die kenne sich aus. Bei Fragen solle ich ruhig vorbeikommen.
Zuhause besah ich vorsichtig den Karton. „Bis zu 160 fantastische Buchtitel in einem” stand darauf. Und: „Lesen Sie ,Krieg und Frieden' fünf mal und mehr, aber zahlen Sie nur einmal.” Das begeisterte mich. Bei Büchern ist das ja ganz anders.
2. Georg
Dann die Gebrauchsanweisung. Ein Satz genügte, um zu erkennen: Das war ein Fall für meinen Freund Georg. Georg kann Computer.
Er war denn auch guten Mutes, lud den Akku, klickerte klackte. Dann länger nichts. „Georg?” Er murmelte, stöhnte. Raunzte das Gerät an: „Hä?” „Georg, was machst du da?” „Ich versuche, die Software . . . ” „Wofür ist die?” Georg besann sich, mit wem er sprach. „Zum Bücher runterladen. Du willst doch Bücher lesen?” Er hielt das E-Book hoch. „Hier sind nur Anfänge drin. Immer 30 Seiten.” Stunden später lachte er laut, und ich dachte, jetzt hat er's, aber Georg sagte fröhlich: „Im Adobe-Forum schreibt einer: Ich habe ein Problem mit der Software, wer kann mir helfen? Und einer antwortet: Ich versuche es seit Weihnachten.” Wir beschlossen, dass ich zu Frau Müller gehen würde. Die sich auskennt.
3. Frau Müller
Ich will Sie nicht mit Details langweilen. Nur soviel: Frau Müller war betrübt. Nein, mit der Software kenne sie sich nicht aus, sie seien, ähäm, ja eine Buchhandlung und nicht der Mediamarkt. Ich solle mich an Sony wenden. Einen Ansprechpartner? Habe sie nicht. Sie verstehe mich so gut, rief sie mir nach, das sei ja total unbefriedigend für mich, aber sie hätten noch nie Klagen . . .
4. Lesen
Eigentlich wollte ich ja wissen, wie Goethe sich elektronisch anfühlt, nun war ich auf Prechtl angewiesen. Das E-Book lag freundlich in der Hand, klein und praktisch, aber irritierend schwer für ein Taschenbuchformat. Die hühnerfuttergelbe Kunstlederhülle konnte man bekleben. Smileys wären in diesem Fall das Nonplusultra an Designkunst.
Dann Knöpfchen drücken, und erster Missmut: Wenn man eine angenehme Schriftgröße einstellt, passen drei Sätze aufs Display, dann muss man blättern. Drei Sätze klick ist aber wider die Natur des leidenschaftlichen Lesers, und die Beschleunigung durch das Display auch. Es befiehlt ständig: „Los! Lies!” und macht den Leser zum Gejagten, der durch die Seiten hetzt; und heilfroh ist, wenn er rausfindet, wie man elektronische Lesezeichen setzt.
Das Vorwort zu „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?” war dagegen das reine Vergnügen. Ein Text über ein ramponiertes Taschenbuch als Service auf einem E-Book: welch subtiler Humor. Auch Prechtls Forderung, dem Sinn des Lebens nachzuspüren, hat beim rhythmischen Klicken etwas Erheiterndes.
Die Hoffnung, ein E-Book werde das Feriengepäck der Familie reduzieren, erledigt sich allerdings schnell. Nicht nur, dass jeder sein eigenes brauchte; unter den 160 fantastischen Titeln finden sich vor allem solche wie „Blutiger Frühling” oder „Sexhungrige Hausfrauen”. Dass man immer rechte Seiten liest, ist gewöhnungsbedürftig. Und keine Katze der Welt würde sich dazu hergeben, ihren Kopf an einem E-Book zu reiben.
5. Glücksspiel
Am nächsten Tag hat Georg die Software installiert. Wie? Er zuckte die Schultern. „Es ist ein Glücksspiel.” Er beschaffte mir, endlich, Werther, und ich klickte, las und ärgerte mich; und dann war ich plötzlich im Text und nur dort, las, las und dachte am Ende in einem Anflug von Versöhnlichkeit, vielleicht ist es doch eine Sache der Gewöhnung. Was zählt, ist der Inhalt. Immer noch.