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Vom Star des Web 2.0 zum Abstiegskandidaten – der Niedergang von Myspace zeigt einmal mehr die Schwierigkeit, im Zeitraffer des Internet langfristige Geschäftsmodelle aufzubauen. Auch Facebook sollte sich nicht zu sehr freuen.
Die amerikanische Satireseite „The Onion“ brachte es neulich auf den Punkt: „Internet-Archäologen finden Ruinen einer Friendster-Kultur.“ Gemeint war eines der ersten sozialen Netzwerke. Im Video zur Schlagzeile analysierte ein „Forscher“ die untergegangene Zivilisation: „Zu ihrer Hochzeit war sie ein pulsierendes Netzwerk mit mehr als 50 Millionen Nutzern – und dann, wie aus dem Nichts, ging die Kultur unter. Die Seite wurde einfach aufgegeben.“
So ganz plötzlich kam der Verfall natürlich nicht. Friendster war an einem Konkurrenten gescheitert, der im gleichen Jahr – 2002 – gegründet worden war. Der Name: Myspace. Seine Geschichte gehört mittlerweile zur Internet-Folklore, vor allem wegen der Summe von 580 Millionen Dollar, die die News Corporation (u.a. „Fox“) im Jahr 2005 für den Kauf hinlegte. Besitzer Rupert Murdoch bezeichnete die Übernahme seinerzeit als die beste Investition seines Lebens. Eine Weile sah es so aus, als könnte er Recht haben. 2006 hatte Myspace 100 Millionen Mitglieder, bis April 2008 war es das erfolgreichste soziale Netzwerk der Welt.
500 Mitarbeiter müssen gehen
Seitdem liegt Facebook vorne, inzwischen uneinholbar. Das macht sich wirtschaftlich bemerkbar. Vergangene Woche kündigte Myspace die Schließung sämtlicher Übersee-Büros an. 500 Mitarbeiter müssen gehen, 30 davon in Deutschland. Das Unternehmen hat den Kampf gegen Facebook inzwischen offiziell aufgegeben. In Zukunft wolle man sich auf das Musikelement und eine junge Zielgruppe konzentrieren, sagt Chef Mike Jones.
So deutlich die Dominanz von Facebook heute erscheint – eigentlich hatte Myspace sämtliche Trümpfe in der Hand. Da war zunächst das riesige Vermögen der News Corporation im Hintergrund. Myspace hatte 22 internationale Büros, zeitweise viermal so viele Nutzer wie Facebook und die Musik von Millionen von Bands. Hinzu kamen 900 Millionen Dollar von Google für die Platzierung von kontextabhängiger Werbung. Bleibt die Frage: Wie konnte das noch schiefgehen?
Überfrachtung brachte auch technische Probleme
Es hat, zum Teil, mit mangelnder Eleganz zu tun. Im Vergleich zu Facebook wirkte Myspace optisch wie ein unaufgeräumtes Kinderzimmer. Das lag vor allem an der Möglichkeit, die Nutzerprofile zu individualisieren. Was als positives Merkmal gedacht war, entwickelte sich zunehmend zum Augenkrebsfaktor. Plötzlich spielten Millionen Mitglieder an den HTML-Codes herum oder passten ihre Seite per Editor an. Das Ergebnis erinnerte nicht selten an die Frühzeit des Netzes, an die blinkenden Smileys, schlechten Fotos und „Comic Sans“-Überschriften auf Seiten wie Geocities oder AOL. Die Überfrachtung brachte auch technische Probleme mit sich. Schwächere Rechner ohne Breitbandverbindung waren vom Multimedia-Overkill nicht selten überfordert.
Dass Myspace oft kindisch wirkte, hatte nicht nur optische Gründe. Es lag auch der Kultur der Pseudonyme. Während man die Nutzer von Facebook zumeist an ihren echten Namen erkennen (und suchen) konnte, bekam man bei Myspace Freundschaftsanfragen von „Pusteblume81“, „BLondieLIcious“ oder „SuperStenz“. Manche Interessenten erwiesen sich als ausdauernde Spammer. Kommentarfelder mutierten zu Werbeflächen obskurer Bands, die zu Konzerten in 500 Kilometer entfernten Jugendheimen einluden.
Schwerpunkt auf Musik setzen
Die rapide Expansion hat die Lage nicht gerade verbessert. Im Laufe der Zeit verlor Myspace den Fokus. Statt sich auf das (immer noch eindrucksvolle) Hauptelement – das Musikarchiv – zu konzentrieren, wollte die Seite irgendwann alles gleichzeitig sein – Homepage-Baukasten, Instant Messenger, Veranstaltungsportal, Blogger-Plattform und mehr. Diesen Fehler hat das Unternehmen inzwischen eingesehen. Chef Mike Jones kündigte an, Myspace wolle sich zur Informationsquelle für kulturinteressierte Menschen unter 35 wandeln. Die Aktivitäten würden eingeschränkt und vereinfacht.
Auch das Layout sieht inzwischen weniger grell aus. Ob der Neustart helfen wird, die Zukunft von Myspace zu sichern, wird sich zeigen. Mit dem musikalischen Schwerpunkt hat die Seite immerhin ein starkes Eigenmerkmal. Andere Netzwerke wie StudiVZ oder „Wer-kennt-wen“ werden es schwer haben. Das Internet mag kulturell pluralistisch sein – in den wirtschaftlich relevanten Bereichen duldet es selten mehr als einen Platzhirsch.
Im Bereich des Web 2.0. heißt der vorerst Facebook. Dennoch – allzu laut sollte der Applaus dort nicht ausfallen. Wer weiß, woran in den Studentenheimen zwischen Harvard und Heidelberg gerade gebastelt wird. Wenn die Geschichte von Myspace eines lehrt, dann, dass das Netz noch jeden Hype vom Tisch weht.