Brüssel. Eine Brüsseler Ausstellung zeigt Arbeiten der Pioniere der erotischen Cartoon-Kunst: Ihre Namen sind weniger bekannt als die Kurven, die sie ihren Comic-Heldinnen verliehen.
Die 60er Jahre waren nicht nur politisch wild und aufregend - sie waren auch sexy. Zumindest wurde das, was gemeinhin als erotisch empfunden wird, fortan freizügiger zur Schau gestellt. Wen oder was die sogenannte sexuelle Befreiung tatsächlich befreite, darauf gibt die Ausstellung „Sexties“ in der Brüsseler Ausstellungshalle „Bozar Expo“ keine Antwort. Ist auch gar nicht ihr Anliegen. Belgien ist das Eldorado der Comics, die dort unter dem Namen „Bande Dessinée“ als eigenständige Kunstform anerkannt sind. Die Hauptstadt würdigt nun vier Pioniere und Meister des erotischen Erzählens in Bildsequenzen: den Franzosen Jean-Claude Forest, den Italiener Guido Crepax und die Belgier Paul Cuvelier und Guy Peellaert.
Der Schmollmund von Brigitte Bardot
Die Namen der Künstler sind vermutlich außerhalb der Comic-Szene nicht so geläufig wie die Motive oder Figuren, die sie schufen. Etwa die Pop-Art-Diva „Pravda“ von Peellaert (mit den Zügen der französischen Pop-Ikone Francoise Hardy), die sich wie die Bilder von Andy Warhol und Roy Lichtenstein ins kollektive Bildgedächtnis eingebrannt haben. Oder Forests „Barbarella“, 1968 mit Jane Fonda in der Hauptrolle verfilmt und zweifelsohne die bekannteste Federstrich-Heroine ihrer Zeit. Barbarellas Schmollmund stammte indes nicht von der Amerikanerin Fonda, sondern von der Französin Brigitte Bardot. Sie lieferte die optische Inspiration für das in erotischen Fantasiewelten hausende, von liebestollen Robotern verfolgte Superweib.
Peellaert dürfte hierzulande der bekannteste der vier Zeichner sein. Dafür sorgte vor allem seine liebevolle Bebilderung des Rock-Kosmos. Zum Beispiel Platten-Cover für die Rolling Stones („It’s only Rock'n'Roll“) und David Bowie („Diamond Dogs“) oder das Bilderbuch „Rock Dreams“. Cuvelier hingegen hielt es mehr mit der Antike, aus ganz pragmatischen Gründen. Als sein Texter Jean Van Hamme ihn fragte, welchen Erzählrahmen er sich vorstelle, soll er geantwortet haben: „Die Handlung ist mir egal, ich will nackte Frauen zeichnen“. Also verfasste Van Hamme eine Story aus dem hellenischen Klassizismus - da waren angeblich eh alle ziemlich nackt. Trotzdem verbannte Cuveliers erzkatholische Familie den talentierten, aber auf die entkleideten Objekte seiner Begierde fixierten Maler.
Scharf an der Grenze
Crepax ging noch einen Schritt weiter, bis weit ins Reich der Tiefenpsychologie. Mit feinen Strichen malte er Szenen aus dem Tollhaus des Sexus, stets scharf an der Grenze zwischen Sadismus und Masochismus. Freud, der Marquis de Sade und Casanova standen gemeinsam Pate. Und so verstörend manches wirkt, so faszinierend sind die inneren und äußeren Perspek-tivwechsel, die Crepax auf einem einzigen Blatt Papier vornimmt.
Jeder der vier – allesamt unterdessen verstorben - kreierte einen eigenen Kosmos. Mit den freizügigen Arbeiten dieser Erotomanen wurde der Comic erwachsen. Jedenfalls waren die Hefte seinerzeit nur für Erwachsene zu haben – und provozierten Staat, Kirche und Gesellschaft. Heute dürfte eher der ästhetische Wert der Unsittengemälde im Vordergrund stehen. Entsprechend ist die Ausstellung konzipiert. Aufs Großformatige gezogene Details, Original-Skizzen, Erstausgaben, Unfertiges und – im doppelten Sinne – Verworfenes, kurzum: alles, was Freunde des Comics zu Liebhabern macht, kann hier nachempfunden werden.
- „Sexties“ ist noch bis 3. Januar 2010 zu sehen.