Bonn. .

Die Bonner Bundeskunsthalle würdigt den Machtmenschen und Fortschrittstreiber Napoleon mit einer großen Ausstellung. „Traum und Trauma“ ist die Schau betitelt und bietet ein Puzzle der Einsichten, die Forscher gewonnen haben.

Der „kleine Korse“ war gar nicht klein, 1,68 Meter können in der Ära Napoleon als normal gelten. Aber er war ein großer Kriegstreiber: Die 16 Jahre, in denen er Frankreich und Europa beherrschte, kosteten drei Millionen Soldaten das Leben. Und doch löste dieser Mann einen Feuersturm der Begeisterung quer durch Europa aus, weil er im Handstreich die alten, maroden König-, Herzog- und Fürstentümer hinwegfegte und die Tür in die Moderne aufstieß.

„Ich schwöre, die Gleichheit des Rechts und die bürgerliche Freiheit zu wahren“, gelobte Bonaparte selbst dann, als er sich 1804 zum Kaiser krönte. Da hatte er gerade das bürgerliche Gesetzbuch eingeführt, den „Code Civil“, der bald „Code Napoleon“ hieß. Er verkörperte den demokratischen Restbestand der Revolutionsparole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Napoleon wusste, dass dieses Gesellschafts-Fundament be­deu­ten­der war als all die 40 Schlachten-Siege von Austerlitz bis Je­na und Auerstedt. Als ein Napoleon-Verehrer wie Beethoven aber davon hörte, dass sich der erste Konsul der Republik zum Kaiser krönte, radierte er so wütend auf dem Titelblatt seiner 3. Sinfonie, die bis dahin Napoleon gewidmet war, dessen Namen aus, dass das Papier riss. Die Sinfonie heißt bis heute „Eroica“.

Napoleon nutzte Corporate Identity

„Traum und Trauma“ betitelt die Bundeskunsthalle nun ihre große Napoleon-Ausstellung. Sie bietet ein Puzzle der Einsichten, die Napoleon-Forscher gewonnen ha­ben – vor allem, dass seine Macht auf vielen Füßen ruhte. Napoleon wusste um den Wert der Nachrichtentechnik und überzog das Land mit Telegrafen und einem Netz von Spitzeln; er wusste um den Wert der Logistik, also ließ er Kanäle, Tunnel, Straßen bauen und führte das einheitliche Metermaß ein – alle Wege führten nach Paris, das Vorbild war Rom. Napoleon nutzte Corporate Identity, er ließ Behörden vom Briefkopf bis zum Mobiliar vereinheitlichen – das Er­schei­nungs­bild der kurzen Empire-Ära ist bis heute als Stil präsent. Und er war ein ver­heerender Kunsträuber, der Schätze aus Museen im Dutzend entführen und Archive plündern ließ, um das Ge­dächtnis eroberter Länder zu zerstören.

Was ihn zu all dem trieb? Jenseits von Machtwillen und Ehrgeiz war es Napoleons feste Überzeugung, dass er besser regieren kann als alle anderen Monarchen. So arbeitete er am Image: Napoleon-Gemälde sind Propaganda-Strategie, er umgab sich mit der Aura des Unbesiegbaren, kleidete sich aber bewusst in die Uniform eines „kleinen Korporals“ un­term Zweispitz-Hut, von dem er sich vier Stück im Jahr anfertigen ließ. Einer davon ist jetzt in Bonn ausgestellt, genau wie sein Feldbett auf sechs Rollen, eine Locke und Vokabelarbeiten aus dem Exil in St. Helena, wo es nur englische Zeitungen gab und Napoleon in Strohhut und Gärtnerschürze (mit eingesticktem „N“ und Krönchen) über seine Niederlagen nicht hinwegkam.

Gärtnerschürze mit eingesticktem „N“ und Krönchen

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Von DerWesten

Weit berührender aber sind die ungeahnt großen Gewehrkugeln oder die Chirurgenbestecke mit ihren Schädel-Instrumenten und Sägen für die Am­putationen, die im Feldlazarett ohne Betäubung stattfanden – die neue Waffentechnik der Ära sorgte für neue Verwundungen. Der imposante Brustharnisch eines Kürassiers, der vorn und hinten ein handballgroßes Granaten-Loch aufweist, lässt ahnen, dass der Tod auf dem Schlachtfeld zuweilen eine Gnade war.

Und doch stellten sich Napoleon-Veteranen noch Mitte des 19. Jahrhunderts den ersten Kameras, für Daguerrotypien. Wie Kinder wirken die geschrumpften Greise in ihren alten Uniformen. Und sind viel zu begeistert davon, Teil der Weltgeschichte zu sein, um Tragikomik zu spüren.