Mülheim. „Im Garten der Kunst“ mit Emil Nolde, Lyonel Feininger und Paul Klee: Das Kunstmuseum Mülheim zeigt, wie das Sammler-Paar Ziegler wohnte.
Benjamin List war 2021 ja nicht der erste Nobelpreisträger am Mülheimer Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Aber der Name von Karl Ziegler, der 1963 gemeinsam mit dem Italiener Giulio Natta den Nobelpreis für Chemie zugesprochen kam, ist den meisten Menschen im Revier eher durch seine Kunstsammlung von Expressionisten und Klassischer Moderne vertraut, die er gemeinsam mit seiner Frau Maria zusammengetragen – und die heute neben der größten Heinrich-Zille-Sammlung jenseits von Berlin den publikumsträchtigsten Bestand des Mülheimer Kunstmuseums in der Alten Post ausmacht.
Ziegler hatte bereits Ende der 50er-Jahre begonnen, eine Kunstsammlung zusammenzutragen. Grundlage dafür war also nicht die spätere Nobelpreis-Dotierung, sondern der unablässige Geldstrom aus Zieglers Patentrechten (er hatte wegweisende Verfahren für die Chemie-Industrie entwickelt, mit denen etwa die Massenproduktion von Kunststoffen wie Polyethylen und Polypropylen möglich wurde).
Karl Ziegler und seine Frau sammelten Klassische Moderne und Expressionisten
Ziegler war 1943 Chef des damaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts in Mülheim geworden. Einerseits hatte er sich der Nazi-Ideologie gegenüber als resistent gezeigt und weigerte sich lange, den Umgang mit jüdischen Freunden und Kollegen einzustellen. Andererseits mochte man auf den genialen Naturwissenschaftler und Erfinder Karl Ziegler nicht verzichten, deshalb sollte er an Stelle einer glänzenden Universitätskarriere in ein Forschungsinstitut gesteckt werden. Dort ging es schon bald nicht mehr nur um Kohle, sondern Chemie aller Art. Später wurden hier übrigens auch künstliches Moschus-Öl und entkoffeinierter Kaffee entdeckt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sammelten Karl und Maria Ziegler jedenfalls Kunst nicht um der Kunst willen oder gar zwecks Geldanlage, sondern um damit zu wohnen. Eine neue Ausstellung der Ziegler-Sammlung im Kunstmuseum Mülheim rückt die Werke jetzt wieder in den Zusammenhang, für den sie angeschafft wurden: schlanke Polstersessel im damals modernen dänischen Stil sorgen für Wohnzimmer-Atmosphäre – und Fotos vom üppigen, kunstvoll gestalteten Garten suggerieren einen passenden Blick aus dem Fenster.
Der heikle Fall Emil Nolde wird mit Filmen über aktuelle Erkenntnisse erläutert
Das Haus, das sich die Zieglers am Kahlenberg in Sichtweite des Max-Planck-Instituts haben bauen lassen, „war nach einer naturverbundenen Wohnidee gestaltet, mit einem Blumenfenster an der Terrasse. Die Wohn- und Arbeitsräume waren um den Garten herum gebaut“: Michael Kuhlemann von der Stiftung Sammlung Ziegler weiß das, weil er mit den Bauplänen des 2013 abgerissenen Hauses an den Hängen über der Ruhr vertraut ist.
Auch interessant
Und die Kunst im 1957 bezogenen Haus war eine Art Fortsetzung des üppig bepflanzten Gartens auf Leinwänden. Emil Noldes karmesinrote Mohnblüten mit den eidottergelben Schafgarben-Dolden oder sein Blumengarten mit dunkelviolett glosenden Fingerhüten und glühenden Feuerlilien ergeben einen unvergänglichen Garten – bei aller Zweifelhaftigkeit ihres Schöpfers, die in den vergangenen Jahren ans Tageslicht gekommen ist. Zum Thema Nolde und die Nazis geben vier Zehn-Minuten-Filme den aktuellen Stand der Forschung wieder, die Tablets dafür liegen auf dem Wohnzimmertisch bereit.
Sammlung Ziegler im Kunstmuseum Mülheim: Eine Fortsetzung des Gartens an den Wänden
Den Zieglers und ihren Zeitgenossen aber galt Nolde als Verfolgter des Nazi-Regimes, der nach dem Krieg eine Rehabilitation verdient hatte (Helmut Schmidt hing sich ja gar einen Nolde ins Kanzleramt). Das galt ja auch für die anderen als „entartet“ verfemten Expressionisten, von denen etwa Erich Heckel, August Macke und Franz Marc Aufnahme in die Ziegler-Sammlung fanden. Es ging darum, eine gewaltsam abgewürgte Kunst-Geschichte zu neuem Leben zu erwecken.

Zu der neuen, 27 Werke umfassenden Ausstellung „Im Garten der Kunst“ gehören aber auch ein Zimmer, das Lyonel Feiningers Werken gewidmet ist (rund um den „Roten Turm II“, das Motiv, das Karl Ziegler an seine Zeit in der Saale-Stadt ab 1936 erinnert haben mag), sowie eines zu Paul Klee, das die kunsthistorischen Zusammenhänge seines luftigen „Seiltänzers“ erläutert und an dem Ölbild „Garten in der Ebene“, wie Klee mitunter Bilder zerschnitt und die Teile dann zu zwei neuen Bildern erweiterte.
„Der Körper als Zeichen“
Unter dem Titel „We. Der Körper als Zeichen“ hat das Kunstmuseum Mülheim neben der neuen Ausstellung der Sammlung Ziegler eine thematische Gruppenausstellung mit großenteils zeitgenössischer Kunst gestaltet, die aus vorwiegend weiblicher Perspektive den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Ich, dem Du und dem Wir erkundet. Es gibt Malerei, Skulpturen, Objekte, Fotos und Collagen von rund 60 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, darunter Rosemarie Trockel, Katharina Fritsch und Thomas Schütte.
Segelschiffe auf dem Meer (Feininger) und im Hamburger Hafen, ebenso wie exotische Dschunken und venezianische Gondeln von Nolde, seine saftigen, auch mal frechen Kinderbilder oder eine harmlos-heitere Strandszene mit holländischen Fischer aus der Exil-Zeit von Max Beckmann: Karl und Maria Ziegler kauften nicht nach kunsthistorischer Systematik oder künstlerischer Einzigartigkeit, sondern nach Wohlgefallen. So wie es die meisten von uns vielleicht auch täten, wenn Geld so gut wie keine Rolle spielen würde. Vielleicht liegt es am freundlichen Grundcharakter dieses Kunst-Gartens, dass man sich gut vorstellen könnte, hier im Museum einzuziehen.
- Für Essen ließ sie Wien sausen: Julia König am Museum Folkwang
- Jacques Tilly im Museum: Grandioser Spott nicht nur für Narren
- Frauenporträts: Warum Angelika Platen Georg Baselitz versetzte
Kunstmuseum, Synagogenplatz 1, 45468 Mülheim. Geöffnet: Di-So 11-18 Ur. Eintritt: 8 Euro, erm. 4 Euro. Jeden Mittwoch ab 14 Uhr freier Eintritt.