Düsseldorf. Erez Kaganovitz zeigt Fotografien in der Jüdischen Gemeinde. Er hat Helden und Opfer des Hamas-Überfalls nach ihren Geschichten gefragt.
Naama Eitan war noch auf der Tanzfläche, als der Terror losbrach. Es war früher Morgen, plötzlich schien der Himmel über ihr zu explodieren. „Die DJs stellten die Musik ab und sagten uns, wir sollten den Platz räumen“, erinnert sich die junge Frau. Aber nirgendwo war ein Durchkommen. Die Straßen waren dicht – alle wollten nur noch fort. Gemeinsam mit anderen Festivalbesuchern rannte Naama über die Felder und versteckte sich. Sie dachte an ihre Freunde, die Familie und an all das, was sie sich im Leben noch vorgenommen hatte. „Ich schloss Frieden damit, sterben zu müssen.“
Naama hatte Glück, im Gegensatz zu vielen anderen jungen Leuten, die das Musikfestival in Re‘im besucht hatten. Über 200 wurden ermordet – Naama hat den brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel überlebt. „Niemals habe ich mein Leben so geschätzt“, sagt sie heute. Der Fotograf Erez Kaganovitz hat die junge Frau porträtiert. Jetzt ist ihr Bild im Rahmen der Ausstellung zu sehen, die in der Jüdischen Gemeinde an die Menschen des 7. Oktober erinnert: ein ernstes Mädchen, eingekuschelt in eine Teddyjacke, im Hintergrund eine Gitarre. „Humans of October 7“ (Menschen des 7. Oktober) setzt ihnen ein bescheidenes Denkmal, den Opfern und den Helden jenes Tages, der die Welt verändern sollte.
Mehr als 1200 Menschen starben beim Überfall der Hamas
Der 7. Oktober 2023 markiert heute für Israel eine Zäsur. Aber vor allem steht er für unendliches Leid. Mehr als 1200 Menschen starben beim Überfall der Hamas im Süden des Landes, den schlimmsten Morden an Juden seit dem Holocaust. Rund 250 Männer, Frauen und Kinder wurden entführt, 84 befinden sich immer noch in der Gewalt der Hamas, bei rund einem Drittel geht man inzwischen davon aus, dass sie nicht mehr leben.
Seither heize „die Hetze auf den Straßen und in den sozialen Medien den Antisemitismus und falsche Vorstellungen über Israel und das jüdische Volk fortwährend weiter an“, betont Erez Kaganovitz im Vorwort zur Ausstellung. Dem will er mit den Mitteln der Kunst etwas entgegensetzen. In seiner Schau verleiht er den Ereignissen ein Gesicht. „Indem ich“, so sagt er, „die menschliche Seite meines Landes zeige.“ Der Rundgang wandert noch in dieser Woche weiter, im Verlauf des Jahres soll er weltweit präsentiert werden – auch an Universitäten in den USA, wo es zuletzt zu Demonstrationen nebst Ausschreitungen gegen die israelische Politik und die Angriffe auf den Gaza-Streifen gekommen war.
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Fürs erste sind die 20 großformatigen Fotografien in Düsseldorf zu sehen, 16 einzelne Schicksale. Darunter Menschen, die mutig gegen die Terroristen kämpften – oder den Angriff als Holocaust-Überlebende ertragen mussten. Drei Bilder stellen Zeitzeugen vor, die bereits die Shoah überstanden haben und nun erneut zu Opfern wurden. Die Schau, die im Halbkreis im Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde aufgebaut ist, wird ergänzt durch weitere Exponate des Bilder-Zyklus „Humans of Holocaust“, in dem Kaganovitz Betroffene porträtiert hat.
„Humans of October 7“: Der Fotograf Erez Kaganovitz erzählt persönliche Geschichten
Auch diesmal erzählt er persönliche Geschichten, „jede ist besonders, jede ist beeindruckend“, sagt Zeev Reichard, Sprecher der Jüdischen Gemeinde. „Sie zeigen die Grausamkeit der Ereignisse, aber auch die Stärke und Resilienz der Menschen in Israel.“
Da ist etwa Yonatan Shamriz aus dem Kibbuz Kfar Aza. Er feierte am 7. Oktober 2023 den zweiten Geburtstag seiner kleinen Tochter. Nachdem die Sirenen heulten, habe er ihren Geburtstagskuchen mit in den Schutzraum genommen, erinnert er sich. „Wir mussten leise sein, daher flüsterte ich ihr sanft ins Ohr, dass wir ein Spiel spielten: Wenn du flüsterst, bekommst du viele Luftballons, wenn wir den Schutzraum nachher verlassen.“ 22 Stunden saß er mit seiner Familie fest.
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Sigalit Salminis, Tante der entführten Carmel Gat, erzählt, wie sie dauernd an ihre Nichte denken muss. „Wahrscheinlich wird sie in einem dunklen, stickigen Tunnel gehalten.“ Avraham Chana berichtet stolz von seinem Bruder Israel, einem privaten Wachmann, der an jenem Morgen von einer Party nach Hause kam.
„Humans of October 7“ berichtet in Düsseldorf von Opfern und Helden des 7. Oktober 2023
Als er die Gewehrschüsse hörte, lief er mit seiner Pistole los, um so viele Menschen wie möglich zu retten. Ganz allein habe er sich den Terroristen in den Weg gestellt, um sie von eine Feier in einer Synagoge abzulenken, erinnert sich Chana. Dann wurde er getroffen und starb. Und dann ist da noch Hamid Abu Ar‘ar, ein Muslim, der an jenem Tag des Terrors bei einer Schießerei auf der Straße seine Frau verlor. Er blieb mit neun Kindern zurück. „Unser Islam ist das Gegenteil dessen, was diese Terroristen getan haben“, sagt er. „Wir müssen hier im Land eine Veränderung bewirken. Alle, die hier leben, müssen zu einer Einheit werden. Wir dürfen niemandem erlauben, uns mit Hass zu infizieren.“
Bis 6. Februar, Jüdische Gemeinde Düsseldorf, Leo-Baeck-Saal, Paul-Spiegel-Platz 1 (Eingang: Zietenstraße 50), 40476 Düsseldorf. Öffnungszeiten; 10 bis 16 Uhr. Der Besuch der Ausstellung ist kostenlos. Eine Anmeldung per E-Mail ist zwingend erforderlich: info@jgdus.de