Düsseldorf. Der Bühnen-Riese macht Shakespeares Tragödienhelden im Düsseldorfer Schauspielhaus zum Angestellten der Macht: Ein 105-Minuten-Lear.
Zynisch gesehen ließe sich Shakespeares „Tragedy of King Lear“ auch als gescheiterter Versuch lesen, sich eine Rente zu verschaffen in Zeiten vor Gründung der Sozialkassen. „Wollt‘ mein Alter auf ihre Pflege bau‘n“: Die politisch idiotische Idee, sein Reich schon vor Eintritt des Erbfalls zu teilen, um sich als eine Art Reise-Rentner abwechselnd von einer der drei Töchter verwöhnen zu lassen, entspringt dem puren Egoismus.

Zugleich zeigen sich die Risiken der Macht für ihren Inhaber: Wer an der Spitze der Hierarchie dem Glauben verfällt, um seiner selbst willen geachtet zu werden, wer der Illusion verfällt, sich aus dieser Position heraus gar Liebe verdienen zu können, irrt nicht nur, sondern wird gar irre daran.
Düsseldorfer Schauspielhaus: Burghart Klaußner als König Lear im nachtschwarzen Palast
Im Düsseldorfer Schauspielhaus zeugt schon der Vorhang zum „Lear“ vom Verblassen des Kartenhauses Macht: Die güldenen Quadrate, aus denen sich ein vertikales Wellenmuster zusammensetzt, sind fahl. Dahinter tut sich ein imposanter Bühnen-Palast mit einem babylonisch hohen Throngebilde auf: Die Architektur der Macht beruht auf Einschüchterung durch schiere Übergröße. Schwarz die Kolonnaden des Saals unter einer goldglänzenden Galerie – und schattenreich wird es durch die Lichtführung des Abends (Konstantin Sonneson) dazu noch. Figuren geraten durch Beleuchtung von unten nicht selten gespenstisch.

Mit einer Drehbühne reduziert Etienne Pluss die Zahl der Schauplätze, so wie Regisseur Evgeny Titov das dunkel glosende Handlungsgeflecht Shakespeares auf den Lear-Strang reduziert: Wir sehen tatsächlich das Wesentliche, den existenziellen, ja existenzialistischen Kern des Stücks. Die Spiegelung Lears und seiner Fehlentscheidungen im Grafen von Gloucester und das ganze Hofstaat-Gewese entfällt, übrig bleiben sieben Personen. Und beiläufig die Erkenntnis, dass jemand rückhaltlos Ehrliches wie Cordelia (Jule Schuck) nicht passt in ein System der Macht.
Auch interessant
Valentin Stückl als Edmund: Nackt zeigt er die Physik der Macht
Deren System ist aber nur scheinbar eingeteilt in Schwarz und Weiß. Die verschlagen-missgünstigen Schwestern Goneril und Regan stecken zunächst in ausladenden Barockkleidern mit Halskrausen-Rock (Kostüm: Esther Bialas). Am Ende werden sich diese Taktikerinnen der Macht mit noch größeren Röcken in Weiß zerfleischen. Zuvor aber konkurrieren sie um den gut gebauten Edmund, und Valentin Stückl darf in der Rolle des Edmund einmal gar komplett aus dem Kostüm steigen, um etwas platt die physische Seite der Macht vorzuführen.

Und Lear? Burghart Klaußner zeigt ihn als alternden leitenden Angestellten der Macht, der anfangs noch sich selbst mit der Rolle verwechselt, die er spielt. Wenn er Cordelia die Thronstufen herabtritt oder eine Hofschranze mit einem brutalen Kopfstüber zurechtstutzt, blitzt kurz auf, dass Gewalt gegen Untergebene das Fundament seiner Herrschaft gewesen sein muss.
Aber sie macht eben auch blind und lässt Lear glauben, sich für den Verzicht auf Macht Zuneigung einhandeln zu können. Klaußner trippelt, hoppelt beflissen dem Greisen-Stadium entgegen, seine Artikulation ist schon dort. Schließlich taumelt er im Wahn, im Chaos des Sturms auf der Heide nimmt er auf einem herumstehenden Dreirad Platz. „Ein alter Narr wird kindisch“: Der Schrei des Kindes, das zur Welt kommt, wird Lear zum Symptom, zum Symbol der Existenz.
- „La Bohème“ in Gelsenkirchen: Geradlinig und meisterhaft
- „Innocence“ im MIR: Begeisterung nach beklemmender Stille
- „Listeners“ im Aalto: Wieder stürmt die „Polizei“ die Bühne
Anne Müller glänzt in Düsseldorf als Narr im „König Lear“
Zum heimlichen Helden des Stücks aber wird der Narr, der so viel weiser ist als Lear und erst verschwindet, wenn es diesem dämmert, wie die Welt wirklich ist. Anne Müller gibt dieser Wahrheit auf zwei Beinen die ideale Gestalt, den denkbar besten Ausdruck in quecksilbrig elegantem Körperspiel, mit glasklarer, verschmitzt heiterer bis abgründig witziger Stimmführung, in der die schlank-lässige, sehr gegenwärtige Shakespeare-Übersetzung von Frank Günther weit mehr als noch an anderen Stellen funkeln kann: „Du hast deinen Verstand abgeschnitten und nichts in der Mitte übriggelassen.“
Einhelliger, lang anhaltender, herzlicher Beifall für das gesamte Ensemble wie auch für das Regie-Team.
König Lear. Schauspielhaus Düsseldorf, Großes Haus. Dauer: 105 Minuten, keine Pause. Termine: 6. und 28. Februar, 9. und 20. März. Karten: www.dhaus.de sowie 0211/ 36 99 11.
