Düsseldorf. Die Lady ist 75, Macbeth 35: Die Besetzung war vielversprechend mutig. Düsseldorfs neuer „Macbeth“ ist aber nicht ohne Schwächen inszeniert.
Wie haben Deuter gebrütet über die Frage, warum ausgerechnet Shakespeares berühmtestes Schurkenpaar kinderlos blieb. In Düsseldorf liefert Regisseur Evgeny Titov eine ganz schlichte Antwort: Das liegt am Alter. Macbeth (André Kaczmarczyk) ist 35, seine Lady (Manuela Alphons) 75, mit etwas biologischem Geschick also durchaus potenzielle Großmutter des Titelhelden. Das Castle an Schottlands Nordsee: ein Mehrgenerationenhaus?
Es ist nicht so, dass Titov seiner Besetzung den Rest der Tragödie gnadenlos unterordnet. Aber zentrale Momente steuert der Coup bei. Als Macbeth nach gewonnener Schlacht und jenem Hexenorakel, das ihm Königswürde in Aussicht stellt (und so seine Seele vergiftet), heimkehrt, da legt er die abgehauene Rübe des Gegners seiner Gattin devot zu Füßen wie Hauskatzen es mit Mäusen zu tun pflegen.
Evgeny Titov setzt im Düsseldorfer „Macbeth“ auf eine ungewöhnliche Besetzung
Oder doch ein Ödipus? Das Zeug zum Monster zeigt sich zeitverzögert. André Kaczmarczyk steigt in diese gefürchtete Theaterrolle ein wie einer, der sein Heldenleben von außen sieht. Die massenweise Vernichtung auf dem Feld, das Trauma vom Töten als Beruf – das läuft bei Titov allenfalls als Hintergrundrauschen mit. Wie dieser Macbeth auf den geometrisch abgezirkelten Highlandfelsen mit hoher Stimme spricht, mit Jünglingslocken und (trotz Blut am Leib) messingschönem Renaissance-Leibchen, da liegt viel Harm- und Ratlosigkeit in der nebligen Luft. Ein Hamlet mit deutlich weniger Grips.
Leider geht es eben auch der Inszenierung so. Mit fast filmischem Zugriff (rasante Schnitte, Atmo-Musik, Stationen-Technik) ist sie packend und oberflächlich zugleich. Man ertappt sich in diesen zwei kurzweilig pausenlosen Stunden irgendwann schamvoll bei dem Empfinden, schrecklich gut unterhalten zu werden und doch von der Substanz der Tragödie allzuwenig zu spüren. Sie schnurrt halt so ab, alles passiert – irgendwie.
Zwischen den Darstellern von Macbeth und seiner Lady liegen 40 Jahre
Erst spät, als dieser Macbeth sich löst von Lästigem wie seinem Gewissen, wartet dieser Abend im Schauspielhaus mit einem bohrend abgründigen, ja erschütternden Moment auf. Da münzt dieser knabenhafte König die unfruchtbar gebliebene Ehe in einen Akt rächender Gewalt um. Wie Sexualität auch zur Sprache der Vernichtung werden kann, dokumentiert die Szene im rissigen Marmorpalast (Bühne: Etienne Plus) grauenhaft gut. Und erst recht den ihr innewohnenden Wahn!: Als die Lady röchelnd am Boden liegt, grinst Macbeth mit einem „Psst“-Finger an den Lippen – wie über einen Lausbubenstreich.
Das Premierenpublikum zeigt sich vom zweistündigen Abend größtenteils begeistert
Mit dem Zerfall der zu Unrecht erlangten Macht, weichen bei Titov mehr und mehr auch Rollen und Textzuschreibungen auf: Die drei Hexen (etwas kunstgewerblich: Spinnenwesen mit Eierköpfen) sind fast allgegenwärtig, sind einzige Bankettgäste und Augenzeugen vom heillosen Wahn der Lady, während Macbeth (bei Shakespeare abwesend) plötzlich auch ihr Arzt ist...
Das Ensemble zeigt sich in recht guter Form, von überragenden Darstellern kann man kaum sprechen. Matthias Buss als Banquo fällt auf: rasant talentiert im Aufspüren doppelter Böden. Das Premierenpublikum war komplett genesen oder geimpft sowie größtenteils begeistert.
Macbeth, Düsseldorfer Schauspielhaus, zwei Stunden, keine Pause. Nächste Termine: 30.11,; 5., 19., 28. 12. Karten (ab 14€): Tel. 0211-36 99 11.