Berlin. Halfdan Ullmann Tøndel, der Enkel von Ingmar Bergman und Liv Ullmann, über sein Regiedebüt „Armand“, das gleich ins Oscar-Rennen ging.

Lange hat sich Halfdan Ullmann Tøndel gegen seine berühmte Herkunft gewehrt. Der 35-jährige Norweger ist Spross einer Künstlerdynastie, Enkel der 2007 verstorbene Regielegende Ingmar Bergman und der Schauspielerin Liv Ullmann (86), seine Mutter Linn ist eine bekannte Buchautorin. Dann hat er doch einen Film inszeniert, aber auf seine ganz eigene Art. Und ist mit dem satirischen Drama „Armand“, über den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs zwischen Grundschülern und wie Eltern und Lehrer damit umgehen, gleich durchgestartet: Premiere in Cannes, Europäischer Filmpreis für das beste Debüt und jetzt als norwegischer Beitrag auf der Shortlist für den Oscar im März. An diesem Morgen Anfang dieser Woche ist er gerade von der Oscar-Kampagne aus den USA zurück und nimmt sich Zeit für ein Gespräch mit der Berliner Morgenpost zum deutschen Kinostart diese Woche.

Herr Ullmann Tøndel, kommen Sie direkt aus Los Angeles? Wie ist die Lage?

Ich war in Los Angeles, Palm Springs und zuletzt New York. Glücklicherweise flogen wir gerade Richtung Ostküste, als die Feuer ausbrachen. Wir hatten Glück. Nur wenige Tage zuvor waren wir noch da, wo jetzt Schutt und Asch ist.

Inwieweit werden die verheerenden Brände Ihre weitere Oscar-Kampagne beeinträchtigen?

Ach, das ist nun wirklich nicht so wichtig angesichts der vielen Menschen, die ihre Häuser und ihr Hab und Gut in den Flammen verloren haben. Ohnehin warten wir jetzt erstmal die Nominierungen ab, die auf den 19. Januar verschoben wurden. Für mich ist es schon ein Geschenk, wie gut mein Film überall ankommt. Wenn wir am Ende nicht nominiert werden, ist es auch ok.

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Ihr Film war vergangenen Mai eine der großen Entdeckungen beim Filmfest von Cannes, wo Sie die Camera d’or für das beste Regiedebüt erhielten. Im Dezember dann der Europäische Filmpreis. Wie haben Sie die Zeit seitdem erlebt?

Sehr intensiv und überwältigend. Ganz ehrlich, es hat mein Leben verändert. Eine ganz normale Woche hatte ich wirklich schon sehr lange nicht mehr. Ich bin viel gereist und wunderbaren Menschen begegnet. Und ich bin sehr stolz auf die Auszeichnungen.

In jungen Jahren haben Sie selbst an einer Schule gearbeitet. Ist damals die Idee zum Film entstanden?

Ich war drei Jahre an einer Grundschule, aber die Geschichte basiert nicht auf einem Vorfall, der dort passiert ist. Natürlich half mir die Erfahrung beim Drehbuch, um über den Schulalltag zu schreiben und wie die Leitung und das Lehrerkollegium mit einer solchen Situation umgeht. Die Figur der jungen Lehrerin ist stark davon beeinflusst, wie ich mich damals gefühlt habe. Wenn es einen Vorfall gibt, ist man erstmal ziemlich auf sich allein gestellt. Man reagiert spontan und das kann dann auch schief gehen. Aber der eigentliche Ursprung war ein anderer…

Nämlich?

Elisabeth, die Mutter des Jungen, der beschuldigt wird: Ich hatte schon früh eine klare Vorstellung von dieser Figur. Eine unberechenbare Frau mit extremen Gefühlsschwankungen, in einem Moment stark und manipulierend, dann wieder total hilflos. Aber ich wusste lange nicht, wo ich sie hinpacken soll. Bis mir auf einer Party ein Freund von einem Campingtrip erzählte, auf dem ein Sechsjähriger etwas zu einem anderen Jungen sagte, das er in dem Alter noch nicht wissen sollte. Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf und ich malte mir aus, woher der Junge solche Ausdrücke kannte. Daraus wuchs dann langsam die Geschichte.

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Halfdan Ullmann Tøndel im Mai 2024 in Cannes, wo er die Caméra d ‘Or gewann. © picture alliance / Vianney Le Caer/Invision/AP | Vianney Le Caer

Sie verbinden dabei Sozialdrama mit komischen und Horrorelementen. Wie haben Sie den richtigen Ton gefunden?

Für mich ist es eine getarnte Satire. Ich stellte mir die Belegschaft an der Schule als die komischen Elemente des Films vor und die Geschichte der Eltern als das Drama. Wir drehten chronologisch, es fühle sich sehr organisch an, wie es langsam immer surrealer wurde.

Renate Reinsve als Elisabeth steht im Zentrum eines starken Ensembles. Wie haben Sie mit den Schauspielern gearbeitet?

Indem ich sehr neugierig und offen bin für die Ideen, die sie für ihre Rolle einbringen. Jede Schauspielerin, jeder Schauspieler ist anders. Der eine probt gerne lange, Renate dagegen gar nicht. Da musste ich eine Balance finden. Mein Trick war, mich mit jedem einzeln zu treffen und Geheimnisse miteinander über die jeweilige Figur zu haben, die den anderen nicht bekannt sind. Das half, die Szenen frisch anzugehen und mit Leben zu füllen.

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SWITZERLAND EUROPEAN FILM AWARDS LUZERN
Im Dezember geann Halfdan Ullmann Tøndel beim Europäischen Filmpreis in Luzern den Nachwuchspreis. © picture alliance/KEYSTONE | Philipp Schmidli

Einige dieser Szenen sind ein Wagnis, driften ins Absurde. Woher nehmen Sie dabei das Selbstvertrauen als Neuling?

Das ist zum Teil Naivität und weil ich während des Drehs ständig mit Adrenalin vollgepumpt war. Das treibt mich an und gibt mir Mut. Im echten Leben bin ich eher neurotisch und ängstlich, aber wenn ich drehe, bin ich furchtlos. Ich vertraue meiner Intuition, versuche nicht alles zu rationalisieren. Auf sein Unterbewusstes zu hören, kann sehr bereichernd sein. Und es ist mein erster Film. Wenn ich acht Jahre daran arbeite, will ich nicht auf Nummer Sicher gehen, ich will was riskieren, um das Beste daraus zu machen.

Sie kommen aus einer berühmten Künstlerfamilie, ihre Großeltern sind Legenden des Kinos. Wann haben Sie für sich die Leidenschaft zum Film entdeckt?

Ich wollte lange gar nichts damit zu tun haben, probierte alles möglich aus und landete schließlich beim Journalistik-Studium. Dazu gehörte auch ein Kurs Filmemachen, erst das weckte mein Interesse. Ich bewarb mich dann an der Filmhochschule und sagte aber niemandem, wer meine Großeltern sind. Das war mir wichtig, um frei zu sein und meine eigene Stimme zu finden.

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Red carpet for the film Armand
Der Regisseur mit seiner Hauptdarstellerin Renate Reinsve bei der Norwegen-Premiere ihres Films in Oslo. © picture alliance / NTB | CORNELIUS POPPE

Spätestens seit Cannes werden Sie nun auf Ihre Herkunft angesprochen. Wie gehen Sie damit um?

Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Ich verstehe, warum es die Leute interessiert. Und die meisten sind respektvoll und betrachten den Film als eigenständiges Werk. „Armand“ war auch der Versuch, etwas zu schaffen, das ganz anders ist als die Filme meines Großvaters. Ich habe das Drehbuch ganz bewusst nicht meiner Oma oder meiner Mutter zu lesen gegeben. Ich wollte von ihnen nicht beeinflusst werden, meine eigene Stimme finden. Wer weiß, eines Tages lasse ich mich vielleicht doch noch von ihnen inspirieren. Aber vorerst finde ich es wichtig, ein bisschen zu überkompensieren und mich so weit wie möglich von meiner Herkunft abzugrenzen. Es fühlt sich auch einfach viel besser an, zu wissen, dass ich den Film ganz ohne deren Hilfe gemacht habe.

Nun gibt es sicher schon Angebote aus Hollywood. Wo sehen Sie Ihre Zukunft?

Irgendwann könnte ich gut einen Film dort machen oder anderswo außerhalb Norwegens, aber nicht im Moment. Die kreative Freiheit ist mir wichtiger. Wim Wenders hat beim Europäischen Filmpreis im Dezember gesagt: Es ist wichtig, neugierig zu bleiben. Das hat mir sehr gefallen.