Düsseldorf. Thomas Wirth alias Super*me verantwortete Modemarken wie Replay. Nach einem Burnout erfand der Essener sich als Künstler neu – mit großem Erfolg.
Thomas Wirth alias Super*me empfängt seine Gäste barfuß. Er ist gerade erst von der Kunstmesse Art Basel in Miami zurück und noch nicht richtig im deutschen Winter angekommen. Dicke Wolken hängen über dem Rhein, auf den er aus seinen komplett verglasten Räumen im Düsseldorfer Medienhafen blickt. Ebenso wenig wie seine Füße lassen sich die Kunstwerke des 53-Jährigen in eine Form pressen. Da wird Jesus mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und dem Smartphone zum Leben erweckt und fährt plötzlich zu harten Gitarrenriffs mit dem Motorrad über die Leinwand, die ein alternatives Abendmahl zeigt. Wilde Tiere schreien bei Thomas Wirth ebenso von den Leinwänden wie die grellen, teils fluoreszierenden Farben. Auf dem Global Gate auf Zollverein, dem größten Werk von Super*me, bildete er aus 13.000 Affenköpfen Michelangelos Fingerzeig Gottes nach.
Mit dieser von Wirth als Neo-Expressionismus bezeichneten Kunst mischt der Essener seit gerade einmal anderthalb Jahren den Kunstmarkt auf. Große Werke von ihm kosten mittlerweile 70.000 Euro und mehr. Ein Kunstsammler aus Köln tauschte vier „Superman“-Arbeiten des Pop-Art-Papstes Andy Warhol gegen ein Bild von Super*me. „Manchmal“, sagt Thomas Wirth, „kommt es mir vor wie in einem Traum.“
Nach drittem Corona-Lockdown in den Burn-out geschlittert
Denn seine Kunst war anfangs gar nicht zum Verkauf gedacht, sondern vielmehr Therapie. Mehrere Jahrzehnte arbeitet Wirth erfolgreich in der Modebranche, verantwortet Marken wie LTB, Tommy Hilfiger und Replay. Er pendelt zwischen Shanghai, Tokio und New York, besucht Modenschauen auf der ganzen Welt, lernt Stars kennen. „Es war eine aufregende Zeit und ich bin dankbar dafür. Aber meine Kinder habe ich kaum aufwachsen sehen“, sagt er. 2018 steigt Wirth von jetzt auf gleich aus, lernt Fußballgrößen wie Lukas Podolski und Dennis Aogo kennen. Er macht sich mit einem Unternehmen für Fußball-Merchandise selbstständig, Podolski und Aogo halten Anteile daran. Das sei zunächst auch sehr erfolgreich gewesen – bis Corona kam.
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Nach dem dritten Lockdown habe er einen Burn-out erlitten, erzählt Wirth. „Ich hatte meine gesamten Ersparnisse in das Unternehmen reingesteckt, habe gleichzeitig angefangen, unser Haus in Essen zu renovieren. Dann war von heute auf morgen der Kredit weg, ich musste meine Familie ernähren. Das war eine sehr belastende Zeit.“ Er sei langsam in den Burn-out geschlittert, immer depressiver geworden. Ein befreundeter Arzt rät dem Unternehmer, etwas zu machen, das ihn beruhigt. Wirth besorgt sich Farben, Leinwände – und legt los. „Ich sammle seit 20 Jahren Kunst. Mein Lieblingsbild ist ,Café de Flore“ von Jörg Immendorff. Da kann ich stundenlang davor sitzen und entdecke immer wieder Neues. So etwas wollte ich auch schaffen.“
Anfangs verschenkt er seine Bilder an Freunde, zu Geburtstagen und einfach so. „Die fanden das alle gut und haben die Kunst auch aufgehangen.“ Zwei Freunde sind so begeistert, dass sie Wirth im Februar 2023 bei der Kunstmesse in München anmelden – ohne sein Wissen, wie er beteuert. „Ich war anfangs sogar ein bisschen sauer und wollte das gar nicht. Heute bin ich ihnen dankbar, sie haben damit ein neues Kapitel in meinem Leben aufgeschlagen“, sagt Wirth.
Pac-Man bringt auf der Kunstmesse in München den Durchbruch
Die Messe in München ist der Durchbruch. Ein Bild mit Pac-Man, Figur des ikonischen Computerspiels der Achtziger, ist eines der ersten, das Wirth verkauft. Auch die renommierte Kölner Galerie Ruttkowski wird auf den neuen Künstler aufmerksam, veranstaltet mehrere Ausstellungen mit ihm. Wenig später wollen die Unternehmer von Deloitte Deutschland einige seiner Bilder kaufen. Er stellt bei der Art Dubai aus, nach zwei Tagen seien alle Bilder verkauft gewesen.
Wird er von vielen für seinen Trip in die Kunst noch belächelt, ist Wirth längst klar, dass die Malerei für ihn weit mehr als eine Therapie ist. Sie wird sein Lebensinhalt. „Wenn du Dinge aus Überzeugung und mit vollem Herzen machst, werden sie erfolgreich. Davon bin ich überzeugt“, sagt Thomas Wirth. Sein Erfolgsgeheimnis? „Die Leute wollen keine Langeweile. Auch nicht in der Kunst. Wenn ich als verrückt bezeichnet werde, ist das ein Kompliment!“ Die Gesellschaft sei zu leise, zu vieles werde nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert. „Meine Kunst ist laut und genau wie ich gerade heraus und ehrlich. Diese Eigenschaft schätze ich vor allem an den Menschen aus dem Ruhrgebiet“, sagt Wirth, der mit zwei Geschwistern in Hattingen aufwuchs.
„Wichtig ist, dass mir das Bild gefällt. Ich habe auch schon mal eine bereits bezahlte Auftragsarbeit wieder zerstört, weil ich damit unzufrieden war.“
Was viele unterschätzten: Auch Kunst sei harte Arbeit. Teilweise verbringe er mehr Zeit mit der Malerei als seinerzeit als Geschäftsführer in der Modebranche. Um das gigantomanische Zollverein-Projekt zu stemmen, habe er häufig in seinem Düsseldorfer Atelier geschlafen und vom frühen Morgen bis nachts gemalt. Auch in seine Version des Letzten Abendmahls steckt Wirth 300 Stunden Arbeit. „Wichtig ist, dass mir das Bild gefällt. Ich habe auch schon mal eine bereits bezahlte Auftragsarbeit wieder zerstört, weil ich damit unzufrieden war“, sagt Wirth.
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In viele seiner Bilder arbeitet er popkulturelle Anleihen ein. Der Chorus „We can be Heroes“ aus seinem Lieblingssong von David Bowie findet sich dort ebenso häufig wie bekannte Comic- und Filmfiguren. Häufig bringt Wirth die Farbe mit Holzleisten auf, arbeitet nur selten mit Pinseln. Das erzeugt Struktur und Tiefe, je nach Lichteinfall leben die grellbunten Bilder auch ganz ohne Hilfe von Künstlicher Intelligenz.
Für Wirth ist der Erfolg seiner Kunst Wunder und Genugtuung zu gleich: „Außer meiner Familie und einigen Freunden hat niemand an mich geglaubt. Dabei ist alles machbar, wenn du daran glaubst“, sagt Wirth, der auch für 2025 große Pläne hat. Im Januar präsentiert er seine Kunst in Kuala Lumpur und Singapur, danach geht es zur Art Basel nach Hong Kong. Groß zu denken, das fällt Wirth auch in der Kunst nicht schwer. „Natürlich habe ich noch Ziele“, sagt der Künstler, „ich möchte, dass irgendwann ein Bild von mir bei Sotheby‘s versteigert wird.“ Da dort jüngst sogar eine mit Panzertape fixierte Banane für 6,2 Millionen Euro verkauft wurde, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering. Vor allem in der Kunst ist eben alles möglich.