Essen. Tilo Eckardt macht den Dichter zum Detektiv, beim Urlaub in Nidden – eine etwas andere Einstimmung auf das Thomas-Mann-Jahr 2025.
Große Ereignisse – so sagt man wohl – werfen ihre Schatten voraus. In diesem Fall, dem 150. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann am 6. Juni 2025, wirft das Ereignis allerdings, mit Hilfe diverser Verlage, schon jetzt die ersten Bücher auf den Markt. Heinrich Breloer, mit seinen Filmversionen ein effektiver Propagandist der sagenhaften Mann-family, rückt unter dem Titel „Ein tadelloses Glück“ dem jungen Familienvater und dem „Preis seines Erfolges“ auf den Leib (Deutsche Verlags-Anstalt), der Germanist Kai Sina hingegen dem „politischen“ d. h. „demokratischen Aktivisten“ Thomas Mann (Propyläen). Gleichzeitig hat der Unterhaltungskünstler Heinz Strunk ohne falsche Bescheidenheit, aber mit viel erzählerischer Boshaftigkeit das Nebenjubiläum von Thomas Manns „Zauberberg“ (erschienen 1924!) zu einem parodistischen „Zauberberg 2“ verwurstet (bei Rowohlt).
Wenn man bedenkt, wie wichtig der Tod und das Sterben in Manns Werken waren, vom ersten Roman (Buddenbrooks, 1901) bis zur letzten Novelle (Die Betrogene, 1953), konnte kaum ausbleiben, was wir hiermit vermelden dürfen: Der Großschriftsteller ist endlich auch im Krimi angekommen, und zwar ganz persönlich, perfekt gekleidet und bei bester Gesundheit. Das verlangt eine Erklärung.
Der Autor Tilo Eckardt hat bisher zwei Ligurien-Krimis verfasst, inzwischen aber seine Neigung zum Norden entdeckt, genauer zu Kurischen Nehrung und dem Ort Nidden (damals wie heute in Litauen), wo die Familie Mann ja tatsächlich ein hübsches, vom Nobelpreisgeld finanziertes Sommerhaus besaß und 1930, -31 und -32 die Sommerferien verbrachte, ehe dann der Weg notgedrungen ins Exil führte.
An dieses historische Faktum knüpft Eckardt eine hochfiktive (also „erfundene“) Episode an, die er uns nun unter dem Titel „Gefährliche Betrachtungen. Der Fall Thomas Mann“ präsentiert. Erzählt wird das rückblickend aus der Sicht eines alten Herrn namens Miuleris, der einst als ehrgeiziger junger Übersetzer die Bekanntschaft der verehrten Dichters suchte und fand, was sie allerdings beide in ein echtes, nicht ungefährliches Schlamassel brachte. Dabei geht es um den entwendeten Entwurf zu Manns letzter großer Rede in Deutschland (Deutsche Ansprache - Ein Appell an die Vernunft, Berlin 1930), um ein entführtes Mädchen, das Miuleris (für Mann einfach: „Müller“) besonders am Herzen liegt, um einen toten Fähnleinführer der Hitlerjugend und schließlich um Manns briefliches Angebot an „Herrn Hitler“, alle „lesefähigen Mitglieder“ in dessen Partei mit einem Vorzugsexemplar vom „Tod in Venedig“ zu versorgen!
Wir sehen also: Ernst und Spaß, Historie und Erfindung sind sehr freihändig gemischt und verlangen entsprechend flexible Leser und Leserinnen. Der Autor ist jedenfalls optimistisch: Ein zweiter Band mit den Detektiven „Mann & Müller“ ist bereits angekündigt.
Tilo Eckardt: Gefährliche Betrachtungen. Der Fall Thomas Mann. Kriminalroman, Droemer, 301 S., 22 €.