Düsseldorf. Tatort Schauspielhaus Düsseldorf: Bjarne Mädel, Mechthild Großmann, Oliver Mommsen, Peter Kurth und andere im Einsatz für Flüchtlinge.
20.15 Uhr, Sonntagabend. Die vertraute „Tatort“-Melodie erklingt, aber nur für Sekunden. Dann geht sie über in das Klavierspiel von Aeham Ahmad. Der ist als „Pianist aus den Trümmern“ bekanntgeworden, weil er in dem palästinensischen Flüchtlingslager von Damaskus, in dem er aufwuchs, zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs sein Klavier durch die Gegend fuhr und unter freiem Himmel für die Menschen dort spielte. Bis 2015 Milizionäre des islamistischen IS sein Instrument zertrümmerten und Ahmad übers Mittelmeer nach Deutschland floh.
Nina Kunzendorf musste absagen. Ihre Texte las Mechthild Großmann
An diesem Abend wird es im vollbesetzten Düsseldorfer Schauspielhaus um Menschen gehen, die sich so wie Ahmad auf eine der gefährlichsten Flüchtlingsrouten der Welt begeben: das Mittelmeer. 30.000 Menschen sind seit 2014 mindestens dort gestorben, die Dunkelziffer ist horrende. Es wären noch mehr, gäbe es nicht Seenotrettungs-Schiffe wie die SOS Humanity. Auf ihnen kreuzen sich die Wege von Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Armut fliehen, und Mechthild Großmann, die im Münster-„Tatort“ die Staatsanwältin Wilhelmine Klemm spielt, liest an diesem Abend ein doppeltes Pensum – Nina Kunzendorf, die für fünf „Tatort“-Folgen zwischen Andrea Sawatzki und Margarita Broich eine Frankfurter Kommissarin verkörperte, musste für diesen Abend absagen.
Bjarne Mädel, Oliver Mommsen und Peter Kurth lesen sachlich, Daniel Sträßer ebenfalls
Wir hören als erstes vom Schicksal eines Syrers, der die Söhne seiner im Krieg gestorbenen Brüder nach Europa bringen will; es folgt ein 15-Jähriger aus Guinea, ein Bürgerkriegs-Opfer aus dem Tschad, ein Erstliga-Fußballspieler von der Elfenbeinküste, der nach Tunesien flieht, aber die Verfolgung dort nach fünf Jahren auch nicht mehr aushält. Wir hören vom Hunger, von brutalen Prügeln sogar für Schwangere, von der mehrfachen Plünderung und Erpressung, die vor allem in Libyen auf die Menschen wartet, die oft schon ihr letztes Hemd gegeben haben, um dort hinzukommen. Auch Bjarne Mädel liest das genau wie Oliver Mommsen fast sachlich, ohne großes Schauspiel, auch Peter Kurth und der saarländische „Tatort“-Ermittler Daniel Sträßer halten das so. Sie scheinen jeden Eindruck von eitler Kunst vermeiden zu wollen, hier geht es um die Sache. André Kaczmarczyk allerdings, für den es an diesem Abend noch mal ein Heimspiel ist, kann seine Empathie nicht verhehlen.
Wir hören an diesem Abend aber auch die Eindrücke der Seenot-Retter, also vom schwedischen Kapitän der SOS Humanity, wir hören die Betreuer der Flüchtlinge – und immer wieder Ungeheuerlichkeiten über die „sogenannte libysche Küstenwache“, die vom vereinten Europa finanziell, mit Ausrüstung und bei der Ausbildung unterstützt wird und Flüchtende mit kriminellen, teils auch mörderischen Methoden aufs libysche Festland zurückdrängt.
Aeham Ahmad, der „Pianist aus den Trümmern“ in Syrien, spielt Beethoven und „Die Gedanken sind frei“
Für die Kritik von SOS Humanity an der „rechtsextremen Migrationspolitik“ der EU gibt es an diesem Abend Szenenapplaus. Die Organisation, die 2015 mit dem Ziel angetreten ist, sich irgendwann selbst überflüssig zu machen, will nun doch im zehnten Jahr ihres Bestehens weiterarbeiten. Man hat die italienische Regierung verklagt, nachdem sie das Schiff der Seenotretter festgesetzt hat – und den Prozess gewonnen. Man hat 100.000 Petitions-Unterschriften sammeln können und hofft, dass in solchen Aktionsformen die Zivilgesellschaft weiter vorangeht und der Politik einen Weg zum Festhalten an genuin europäischen Werten und Menschenrechts-Vorstellungen weist.
Aeham Ahmad, der das Publikum mit seinen Klavier-Einlagen mehrfach zum Mitsummen bewegt, wird einen warmen Applausregen dafür bekommen, dass er nicht nur über „Freude schöner Götterfunken“ improvisiert, sondern am Ende auch noch „Die Gedanken sind frei“ anstimmt.
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