Hamburg. . Sie sitzen gut gelaunt auf dem Sofa im Hamburger Hyatt Hotel: schwarze Jeans, schwarze Pullover, schwarze lange Haare. Die Regisseurin Yasemin Samdereli, 37, und die Autorin Nesrin Samdereli, 31, sind seit vielen Jahren ein Team. Jetzt haben die in Dortmund aufgewachsenen Schwestern mit „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ihren ersten Spielfilm gedreht. Ab Donnerstag läuft er in den Kinos
Sie sitzen gut gelaunt auf dem Sofa im Hamburger Hyatt Hotel: schwarze Jeans, schwarze Pullover, schwarze lange Haare. Die Regisseurin Yasemin Samdereli, 37, und die Autorin Nesrin Samdereli, 31, sind seit vielen Jahren ein Team. Jetzt haben die in Dortmund aufgewachsenen Schwestern mit „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ihren ersten Spielfilm gedreht. Ab Donnerstag läuft er in den Kinos.
Vier Millionen Euro Produktionskosten für ein Kinodebüt. Kann man da noch schlafen?
Yasemin: Das klingt nach viel Geld, ist aber in einem historischen Film wenig. Wir mussten viel rechnen. Da überlegt man so Sachen wie: Sollen wir die Schauspieler nur zur Hälfte anziehen in den Szenen, wo man sie nur oben herum sieht.
Stimmt es, dass es fast fünfzig Drehbuchfassungen gab?
Nesrin: Ja, und wir haben mit Unterbrechungen neun Jahre daran gearbeitet. Die Idee entstand kurz nach dem Tod unseres Opas. Er war ein Gastarbeiter, der in den 60er-Jahren hierher kam. Wir wollten etwas von seinen Anekdoten bewahren. Aber es ging uns auch darum, zu sagen: Wir sind jetzt alle da, und das hat einen Grund!
Der Film will also nicht nur die Deutschen an dieses Stück Historie erinnern, sondern auch die vielen Deutsch-Türken?
Yasemin: Es ist definitiv ein Film für die jüngere Generation. Ich hatte als Teenager lange Zeit so ein Kuckucksei-Gefühl, als hätte ich mich eingeschlichen in dieses Land, in das ich eigentlich nicht gehöre. Erst durch meine Großeltern habe ich erfahren: Wir waren erwünscht, wir wurden gerufen.
Wie seid ihr aufgewachsen?
Yasemin: In Lütgendortmund. Wir waren die einzigen Türken dort. Doch als Kinder hatten wir kein Bewusstsein dafür. Wir haben alles mitgemacht. Ich war im Spielmannszug, Nesrin war Funkenmariechen. Erst als ich in die Schule kam, wurde mir klar, dass ich anders bin.
Nesrin: Die Lehrerinnen haben so getan, als gäbe es keinen Unterschied. Die haben mich morgens immer das „Vater unser“ mitbeten lassen. Meine Mutter sagte: Okay, da bekommt sie was von der anderen Kultur mit.
In eurem Film kommt der Islam nur noch in Flüchen und Stoßgebeten vor.
Nesrin: So war das auch bei uns. Wir haben zwar noch Bayram gefeiert bei den Großeltern, und der Opa hat auch einmal ein Schaf geschlachtet. Doch unsere Familie war nie sehr religiös. Zudem sind wir Aleviten, die einen reformierten Islam leben.
Haben euch eure Eltern unterstützt, Filmemacherinnen zu werden?
Nesrin: Am wichtigsten war ihnen, dass wir etwas lernen. Macht eine Ausbildung, hieß es immer, wir konnten das nicht. Die beiden hatten typische Gastarbeiterjobs. Meine Mutter hat am Fließband gearbeitet, mein Vater Reisebusse in die Türkei gefahren.
Euer Film erzählt auch von der leisen Emanzipation der Großmutter. Ist das Wunsch oder Wirklichkeit?
Nesrin: Unsere Oma war eine sehr starke Frau. Sie hat erst mit 50 lesen und schreiben gelernt in einem Kurs in Deutschland und konnte später Zeitung lesen. Doch die Frauen ihrer Generation waren natürlich benachteiligt. Studieren gehen, arbeiten, das kam nicht in Frage.
Yasemin: Trotzdem waren sie selbstbewusst. Ich habe mir oft gewünscht, meine deutschen Freundinnen könnten verstehen, wie witzig und schlagfertig unsere Oma war.
Die Regisseurin Bucet Alacus hat einmal gesagt: Wir sind inzwischen deutscher als viele Deutsche. Empfindet ihr das auch so?
Nesrin: Es gibt in unserer Generation ein starkes Be-dürfnis, nicht mehr aufzufallen, sondern zu sagen: Hey, wir sind Deutsche und damit fertig.
Yasemin: Weil Türken, die als Türken auffallen, immer die sind, die gerade einen alten Mann auf der Straße verprügelt haben. Der deutsch-türkische Redakteur fällt dagegen nicht auf. Mit türkisch sein wird tendenziell etwas Negatives verbunden.
Als ihr das Drehbuch entwickelt habt, gab es noch kein Thilo-Sarrazin-Buch und nicht die „unsägliche Integrationsdebatte“. Wäre der Film sonst ein anderer geworden, wütender, bitterer?
Nesrin: Ich glaube nicht, denn wir haben das Buch relativ unbeeindruckt von aktuellem Zeitgeschehen entwickelt. Ich war von Anfang an schockiert, dass man auf der Grundlage des Buches in den Medien so viel diskutiert hat.
Hat sich für euch etwas nach dem Buch verändert? Der „Spiegel“ spricht schon von „Sarrazinland“.
Nesrin: Ja, Rassismus ist wieder salonfähiger geworden.
Kurzkritik:
Der Wettbewerb der Berlinale 2011 hielt sich vornehm zurück mit Filmen, in denen unbeschwerte Unterhaltung geboten wurde. Einer der wenigen Filme, die das ermöglichten (und prompt außer Konkurrenz startete) war „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Das Regiedebüt der Dortmunderin Yasemin Samdereli, die zusammen mit ihrer Schwester Nesrin auch das Drehbuch schrieb, erzählt vom weiten Weg einer Familie aus Anatolien hin zum eigenen Wohnzimmer in Deutschland.
Hüseyin hat das geschafft und dank der Initiative seiner Frau ist er nun sogar offiziell dokumentierter deutscher Staatsbürger. Mehr noch: Als eine Million und erster Gastarbeiter der BRD darf er eine Rede vor der Kanzlerin halten. Wichtiger aber ist ihm, dass der kleine Enkel nicht weiß, wo er steht, weil er auf dem Sportplatz weder in die deutsche noch in die türkische Mannschaft gewählt wurde. Deshalb lädt Hüseyin die ganze Familie zu einem Ausflug ein, mit dem Flieger in die Türkei und dann im Auto weiter bis nach Anatolien – wo vor über vierzig Jahren alles begann.
Mit sicherem Gespür für die kleinen Freuden und Nöte des Alltags und einer gesunden Prise Humor erzählen die Samdereli-Schwestern die Geschichte einer ganz normalen türkischen Familie. Den ganz großen Bogen schaffen sie dabei noch nicht; manches gerät zu lieblich und folkloristisch, anderes drängt in die Breite und vernachlässigt die Tiefe. Aber es wird sympathisch erzählt, mit Liebe zu den Figuren und Sinn für Humor im Alltagsdetail. Es ist immer unterhaltsam, umgesetzt mit starken Schauspielern und der kessen Entdeckung Aylin Tezel, die hoffentlich noch sehr oft auf der Leinwand zu sehen sein wird. Dieser Film schafft gute Laune.