Essen. In den 1980er Jahren nahm das Sterben der alten Industrien Fahrt auf, ein Essener Fotograf schuf dazu Bild-Ikonen. Jetzt wurde daraus ein Buch.
- In jungen Jahren hat Reinhard Krause viele fotografische Streifzüge, vorwiegend in Essen unternommen
- Insgesamt schuf er eine in dieser Form einzigartige Sammlung von Bildern aus den 1980er Jahren
- Aus den Fotos wurde jetzt ein Bildband: „Woanders is auch scheiße“, so der Titel
Die 1980er Jahre waren im Ruhrgebiet eine Zwischenepoche. Die alten Industrien starben, aber ihre großen Reste prägten weiterhin Städte und Menschen. Es gab noch kriegsversehrte Männer mit Hut, und die Jungen trugen die Haare vorne kurz und hinten lang („Vokuhila“). In vielen Gesichtern spiegelte sich ein hartes Arbeitsleben und seltener Übergewicht. Wo heute selbst Durchschnittsstraßen auf Allee machen und an Gebäuden postmoderner Firlefanz das Hässliche kaschiert, boten sich damals nüchterne, baumlose Stadtansichten in betonierter Härte. Die 80er im Ruhrgebiet sind eine ferne Zeit, die der in Essen aufgewachsene Fotograf Reinhard Krause dokumentierte. Nun hat er ein Buch draus gemacht.
Der 58-jährige arbeitet schon lange als Bildjournalist bei einer Nachrichtenagentur in London und gehört eigentlich nicht zu den allseits bekannten Foto-Chronisten des Ruhrgebiets. Doch im Jahr 2015 stellte er spontan Aufnahmen aus seinen jungen Jahren im Revier im Netzwerk Facebook ein und fand sofort interessierte bis begeisterte Betrachter.
Qualität der Bilder tröstet über den abgedroschenen Titel hinweg
Zu Recht. Man spürt und sieht, ob ein Fotograf nur in der Nähe war oder wirklich dicht dran, ob er Angst hatte oder mutig war, ob er mit Klischees spielt oder ihnen nur aufsitzt, ob er die Menschen für sich gewinnen kann und einen Blick hat für das Besondere, das Faszinierende, das Skurrile. Krause kann all das, soviel steht fest.
Das tröstet über den abgedroschenen Titel des Bildbands hinweg. „Woanders is auch scheiße“ hat als Spruch einen ziemlichen Bart und sieht auf einem Einband genau so aus: scheiße. Auch die bemüht auf originell und witzig gedrechselten Bildunterschriften, die der Essener Literat Wilfried Bienek beisteuerte, bilden einen grotesken Kontrast zu den oft stillen, konzentrierten, alles andere als gekünstelten Fotos.
Leben im Ruhrgebiet der 80er-Jahre
Das Geld für die erste Kamera bei Krupp in der Härterei verdient
Nur der Buch-Essay von Bestsellerautor Frank Goosen hält Krauses Niveau und leuchtet kurz und prägnant Wesentliches über die 1980er Jahre im Ruhrgebiet aus. Die Generation Goosen, geboren um die Mitte der 1960er Jahre, hat in den 1980ern ihre Prägung erhalten.
Das Geld für seine erste Kamera hat sich Reinhard Krause als Teenager in der Härterei bei Krupp in Altendorf verdient. „Im Jugendzentrum an der Papestraße gab es eine Dunkelkammer mit Fotopapier und Chemikalien, und ich konnte immer alles benutzen“, erinnert er sich. Jugendarbeit, die von nachhaltigem Erfolg gekrönt war.
„Ich habe auch selbst mal was auf die Mütze gekriegt“
Krause erhielt erste Aufträge und studierte Fotografie, nebenbei ging er auf ausgedehnte Kamera-Streifzüge mit Schwerpunkt Essen, wo er bis 1989 lebte. In der Alt-Disco „Kalei“ an der Alten Synagoge fand Krause ebenso Motive wie beim Karneval, in der Straßenbahn, in Schrebergärten, Kneipen oder schlicht auf der Straße. Er fotografierte Schlägereien, die aussehen wie arrangiert, aber verdammt ernst waren. „Ich habe auch selbst mal was auf die Mütze gekriegt.“ Wertvolle Erfahrungen, die ihm später noch oft von Nutzen waren. „Ich habe damals gelernt, wie ein Berufsfotograf Konflikte besteht.“
Zur Alltagsfotografie kam das Sozialpolitische. „Das Ruhrgebiet trug Kämpfe aus, deren Heftigkeit noch nicht durch Selbstironie abgemildert wurde“, schreibt Goosen. Und wie alle ambitionierten Fotografen war Krause von diesem letztem großen Aufbäumen elektrisiert. Auch jene Stadtbilder mit der brutalen Nähe zwischen Industrie und Mensch waren nur noch kurze Zeit möglich.
Fotografenkollegen taten seine Bilder als Klischees ab - „sonst hätte ich noch mehr gemacht“
„Ich habe genau gemerkt, im Ruhrgebiet geht gerade etwas zu Ende, und mich ärgert heute, dass ich damals nicht noch viel mehr Bilder gemacht habe“, sagt Krause. Doch hätten Kollegen solche Bilder oft als Klischees abgetan, von denen sich ein guter Bildjournalist fernhalten solle. „Man musste sich fast schon rechtfertigen, davon habe ich mich zu sehr beeinflussen lassen.“
Für die Agentur Reuters hat Krause dann jahrzehntelang die Welt bereist, ist aber der Typ Fotograf geblieben, der sich von den kleinen Dingen des Lebens bewegen lässt. Das macht ihn zu einem Großen.
Reinhard Krause: „Woanders is auch scheiße“ - Das Ruhrgebiet in den 1980er Jahren, Emons-Verlag, 240 Seiten, 200 Fotos, 35 Euro.