Essen. Coralie Fargeats Horror „The Substance“ provoziert mit drastischen Mitteln und eifert Vorbildern wie „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ nach.
„Es gibt etwas, das wird Ihnen helfen.“ Der Satz weckt Elizabeths Lebensgeister. Alles brach ihr weg, der Ruhm und die Karriere. An den Oscar-Gewinn erinnert sich keiner mehr, über ihren Stern auf dem Hollywood Walk of Fame latschen Leute arglos hinweg. Jetzt, mit Mitte 50, blieb ihr nur eine drittklassige Fitness-Show für Frauen, und selbst die will ihr der Produzent Harvey nun zugunsten einer jüngeren, knackigeren Frontfrau wegnehmen.
In dieser Lage bekommt Elizabeth (Demi Moore, mit 60 dank Liftings auf 45 getrimmt) einen Tipp. Sie soll eine Telefonnummer anrufen, und dann darf sie sich die Substanz abholen. Wer die einnimmt, reproduziert ein junges, frisches Ich, das die Lebenszeit des Wirtskörpers fortführt.
So betritt Sue (Margaret Qualley) die Szene. Sie umgarnt Harvey (Dennis Quaid als Weinstein-Karikatur auf Speed), bekommt die neue Show, steigt zum Star auf – und denkt nicht daran, ihre Lebenszeit weiterhin mit Elizabeth zu teilen. Das klingt nachvollziehbar, doch warnt früh der anonyme Verkäufer der Substanz, dass Elizabeth und Sue stets ein und dieselbe Person sind. Was die eine gewinnt, wird die andere verlieren und am Ende werden beide mit nichts dastehen.
„The Substance“ ist die zweite Regiearbeit der Französin Coralie Fargeat
Was zu der im Grunde verheißungsvollen Erkenntnis führt, dass die dunklen Fantasien des späten 19. Jahrhunderts 150 Jahre später wieder in Mode rutschen. So ist nun auch in der zweiten Regiearbeit der Französin Coralie Fargeat, die mit ihrem Debüt „Revenge“ 2018 die Brutalfantasien des Vergewaltigungs-und-Rache-Schundfilms der frühen 1980er-Jahre mit schicken Bildern und noch mehr Härte als MeToo-Beitrag verkaufte.
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Ihr neues Werk gibt sich zumindest inhaltlich anspruchsvoll. Als gedankliche Vorbilder schälen sich schnell R.L. Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ sowie Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ heraus, die Fargeat ungeniert für ihre vorgeblich satirische Betrachtung der Welt des schönen Scheins plündert. Schnell wird klar, dass Fargeat gern selbst vom Nektar des Ruhms schlürft. Die Zutaten sind bewährt.
„The Substance“ im Kino: Stilübung in Exzess und Voyeurismus
Das beginnt mit der gestalterischen Lust an Sexappeal und Ekel, wenn Sue mit mäßigem Tanztalent und umso knapperen Trikots von der Kamera begafft wird, während Elizabeth immer mehr zerfällt.
Die Kollision der beiden endet in einer Orgie aus grotesk überzogenem Körperekel und kalkulierter Befriedigung niederster Skandalinstinkte. Dekadenter Kulturschock (Ruben Östlund, „The Square“), David Cronenbergs Körperhorror („Die Unzertrennlichen“), Luca Guadagninos Lustreize („Challengers“) und ein feministisch bedrucktes Deckmäntelchen für die Festivalzirkel (der Film erntete in Cannes den Preis fürs beste Drehbuch) schaukeln sich hier zu einer gewollt grellen, obszön zerdehnten (140 Minuten!) Stilübung in Exzess und Voyeurismus hoch. Oder kürzer: Schund für Snobs.