Köln/Dortmund. Der Darién Gap gilt als gefährlichster Dschungel der Welt – und wird durch eine Kölner Firma nun zum Urlaubsziel. Was eine Reisende erlebt hat.
„Wir erreichen das Gebiet der Eingeborenen. Ich werde immer euphorischer. Wir sehen einen Skorpion, eine tödliche Schlange, zahlreiche Spinnen. Eine Oase nach der nächsten. Tausende Bäche, die wir überqueren und einer ist schöner als der andere“: So lautet einer der ersten Einträge in Yvonne Pferrers Reisetagebuch. Die 28-jährige Kölnerin hat Zivilisation und Sicherheit eingetauscht gegen einen Abenteuer-Urlaub, der sie an ihre Grenzen bringen sollte.
Reißende Flüsse, tropische Hitze, bedrohliche Tiere: Der Darién Gap in Panama gilt als der gefährlichste Dschungel der Welt. Schon die Planer der Panamericana – einer Straße, die von Argentinien bis nach Alaska führt – mussten vor dem Urwald kapitulieren. Seitdem klafft zwischen Panama und Kolumbien eine 100 Kilometer lange Lücke. Im Dickicht des Regenwaldes haben sich kriminelle Banden breitgemacht, die mit Drogen und Waffen handeln.
Kölner Firma „Wandermut“ bietet Survival-Touren an
Trotz all der Gefahren schlagen sich jedes Jahr mehr als 250.000 Migrantinnen und Migranten durch den Dschungel, um in Nordamerika ein besseres Leben zu beginnen. Bei dem Versuch sterben etliche. Für die meisten wird der Darién zur „grünen Hölle“. Für einige wenige aber auch zur spektakulären Kulisse eines ganz besonderen Urlaubs.
Survival- und Outdoor-Touren sind beliebt wie nie. Die Firma Wandermut aus Köln hat sich darauf spezialisiert. Mit Pferden durch die Mongolei, zu Fuß durch die Sahara, den indonesischen Regenwald – oder eben den Darién Gap: Mit dem Slogan „Komm mit, wenn du dich traust“ bietet „Wandermut“ Urlaub der etwas anderen Art an. Viele der Touren sind lebensgefährlich, das sagen die Veranstalter selbst. Warum begibt man sich trotzdem auf so eine Reise?
Urlaub im Urwald: Kölnerin will an ihre Grenzen gehen
„Das Thema Dschungel stand schon lange ganz weit oben auf meiner Bucketlist. Diese spektakuläre Natur und die atemberaubende Dimension dieser Landschaft faszinieren mich“, sagt Yvonne. Die Welt zu entdecken, das sei ihre große Leidenschaft. Zusammen mit ihrem Freund Jerry hat sie schon etliche Kilometer im Van und Flugzeug zurückgelegt. Trotzdem sollte die Dschungel-Tour für sie etwas ganz Besonderes werden, sagt Yvonne: „Ich wollte eine Reise antreten, bei der ich an meine Grenzen gehen kann, um mich selbst noch besser kennenzulernen.“
Um an der Abenteuerreise teilzunehmen, müssen Interessierte normalerweise einen Bewerbungsprozess durchlaufen. Denn wer mitreisen möchte, muss laut „Wandermut“ beweisen, dass er die „körperlichen Voraussetzungen“ erfüllt und mit der „richtigen Erwartungshaltung und Motivation“ in das Abenteuer startet. Da Yvonne die Gründer persönlich kennt, erhielt sie sofort die Zusage. Trotzdem bereitete sie sich intensiv auf die Dschungel-Tour vor. Eine Woche vor ihrem Flug nach Panama bestieg sie mit einem 30 Kilogramm schweren Rucksack die Zugspitze. „Ich hatte am Ende das Gefühl, dass ich gut vorbereitet bin“, sagt sie.
Zusammen mit zehn anderen Touristinnen und Touristen und einigen Guides, die sich gut vor Ort auskennen, ließ sie die Normalität im Sommer 2022 für knapp zwei Wochen hinter sich – und machte sich auf in den Dschungel. Dort folgten ihre Tage immer demselben Rhythmus: Sie stand frühmorgens auf und wanderte dann etliche Stunden durch den Urwald. Mit einer Machete schlug sie sich den Weg durch das Dickicht, musste dabei auf Skorpione, giftige Spinnen und Schlangen Acht geben.
Abends spannte sie ihre Hängematte zwischen den Bäumen auf. „Nach dem Abendessen war man dann einfach nur müde und froh, die Nacht etwas Schlaf zu bekommen“, sagt Yvonne. Mit der Außenwelt war die Gruppe währenddessen nur über ein Funkgerät verbunden. Wie lang eine Rettung bei Verletzungen gedauert hätte? Unklar. Ein Abbruch der Tour? Fast unmöglich.
Dortmunder Experte über Hype um Survival-Touren
Dass Abenteuerreisen trotz der Gefahren so beliebt sind, findet Bernd Schabbing wenig überraschend. Der Trend füge sich vielmehr in eine Reihe von Phänomenen, die der Professor für Tourismus- und Eventmanagement an der International School of Management in Dortmund schon länger beobachtet. „Wir leben in einer immer sichereren Gesellschaft. Da setzt bei vielen die Langeweile ein. Sie suchen nach Emotionen, nach Herausforderungen, nach einem Kick, den sie im Alltagsleben so nicht bekommen können“, sagt Schabbing.
Den typischen Abenteuer-Touristen gebe es nicht. Oft seien es aber junge Menschen, die sich selbst etwas beweisen und an ihr Limit gehen wollen, bevor sie eine Familie gründen. Oder Ältere, die aus ihrem Alltag ausbrechen wollen.
Neben der Suche nach Abwechslung spiele noch ein weiterer Punkt eine große Rolle, so der Experte: Selbstdarstellung. „Heutzutage gibt es einen starken Ich-Bezug. Bei den Dschungeltouren geht nur eine kleine, ausgewählte Gruppe auf Reisen. Es ist etwas Einzigartiges – und etwas, von dem man erzählen kann. Man kann sich selbst in Szene setzen, sei es im Freundeskreis oder in den sozialen Medien“, sagt Schabbing.
Auch Yvonne, die als Schauspielerin bekannt wurde, teilt die Eindrücke ihrer Reise im Nachhinein mit ihren 1,6 Millionen Followerinnen und Followern. In ihren Videos zeigt sie aber nicht nur die beeindruckende Natur, sondern spricht auch offen über die vielen Herausforderungen. Etwa Magen-Darm-Probleme, Verletzungen an den Füßen oder Einsamkeit.
„Das Ziel, diese Reise zu schaffen, hat sich von der ersten Idee bis zum Schluss oft unerreichbar angefühlt. Für mich war es eine großartige Erfahrung zu wissen, dass ich das alles aus eigener körperlicher Kraft geschafft habe und auch in dieser Ausnahmesituation einen ruhigen Kopf bewahren konnte“, sagt Yvonne. Das Ende der Reise, das Gefühl, es tatsächlich geschafft zu haben, ist ihr daher auch besonders gut in Erinnerung geblieben.
Yvonne Pferrer: „Ich fühle mich lebendiger als je zu vor“
Schon von weitem hört sie die Wellen rauschen. Als sie den dichten Wald hinter sich lässt und sich vor ihr der paradiesische Strand erstreckt, wirft sie ihren Rucksack in den Sand und rennt so schnell sie kann ins Wasser. Ihr Video zeigt, wie sich die Abenteurerinnen und Abenteuer in den Armen liegen, lachen und weinen. In neun Tagen haben sie den Dschungel durchquert. Noch zwei Nächte in der Hängematte, bevor sie zurückkehren in ihr normales Leben.
Zeit für einen letzten Eintrag im Reisetagebuch: „Ich habe gemerkt, dass es die Natur ist, die mir so viel Power gibt“, notiert Yvonne. „Ich trage das größte Glück in mir, weil ich mich an so vielen Kleinigkeiten erfreuen kann. Weil ich mich lebendiger fühle als je zuvor.“
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