Essen. Mit dem Rücken zur Gegenwart: Martin Walser veröffentlicht zum 94. Geburtstag sein neues Werk „Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist“.
Schriftsteller Martin Walser ist bekannt als Meister des Uneindeutigen, des inneren Widerspruchs; ganz sicher und eindeutig aber ist: Am Mittwoch, 24. März, wird er seinen 94. Geburtstag feiern. Pünktlich erscheint nun zudem ein neues Werk, das in aller Kürze Einblicke gewährt in ein langes Leben – und dessen verdientermaßen ruhigen Herbst.
Der Titel „Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist“ verweist bereits auf jene Verse, die dem Walser’schen Verrätselspiel zugeordnet werden können: „Nichts ist nämlich, was es zu sein scheint. Du musst den Wörtern kündigen. Wahr ist nur, was schön ist.“ Den Wörtern kündigen aber, das kann der Schriftsteller naturgemäß nicht. „Schreiben und Leben fielen bei mir fast von Anfang an zusammen. Ich tanzte, also war ich“, heißt es einmal, und etwas später: „Ich möchte lernen, von mir nichts mehr zu erwarten. Weil ich von mir nichts mehr zu erwarten habe – ich weiß das. Aber ich glaube es nicht.“
Worte, die uns den Liegestuhl ausklappen lassen
Und „tanzen“, das kann er noch, auch in diesem kurzen Bändchen, mit warmem Aquarellstrich illustriert von Tochter Alissa Walser. Wenn Martin Walser in seinen zahlreichen Naturbildern Bäume, Blumen, Bäche dahintupft in knappen Sätzen, dann klingt aus der Schwärmerei nicht nur unerschütterliche Lebenslust. „Es ist Nachmittag, die Sonne scheint in ein Gesumm“ – Worte, die uns den Liegestuhl ausklappen lassen. Worte, die wir riechen, schmecken, spüren können.
Dabei aber darf man Augenzwinkern niemals als harmlosen Spaß missverstehen. „Meinen Freund Salbei“ oder „meine Freundin Melisse“ besucht der Autor da bei seinen Gartenspaziergängen, aber plötzlich ragt etwas sehr Scharfkantiges aus all dem fröhlichen Blühen: „Wenn mir nach Menschheit ist, habe ich Gras.“ Da ist wieder all die Enttäuschung, all die Bitternis des ja auch sehr streitbaren Intellektuellen.
„Gegen Abend ein Beil nehmen und Schatten hacken“, diesem Satz gehört eine ganze Seite, in aller Wucht und womöglich in dem Wissen, dass manche Debatte im Nachhinein schattenhaft scheint. Gleichwohl diskutiert Martin Walser auch in seinen kurzen Versen den „Gebrauch von Religionswörtern zur Legitimierung politischer Haltung“ und die Rolle der Medien dabei, nur um einige Seiten weiter zu resignieren: „Ich steh mit dem Rücken zur Gegenwart, im Garten verglüht meine Geschichte.“
„Ich wäre gern tot“ – einerseits
Wie es ist, über das eigene Altern nicht nur erstaunt, sondern regelrecht empört zu sein, hat der Autor seinen Lesenden immer wieder mitgeteilt. Auch diesmal reflektiert er körperliche Leiden, Gebrechen, und auch die Sehnsucht nach einem Ende derselben: „Ich kann nicht sagen, dass ich gern sterben würde, aber ich kann sagen: Ich wäre gern tot.“ Das ist radikal und zugleich wohl vor allem das Ausprobieren einer Meinung, einer Haltung; gemäß dem altbekannten Walser-Bonmot, nichts sei wahr ohne sein Gegenteil. Und so lauten die letzten Worte auf der letzten Seite dieses Büchleins denn auch: „will bis zum letzten Abend leben“.
Martin Walser, „Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist“. Mit Aquarellen von Alissa Walser. Rowohlt, 144 Seiten, 28 Euro.