Essen. . Martin Walser, Deutschlands widerspruchsvollster Großschriftsteller, wird am Freitag 90 Jahre alt. Eine Würdigung in seinen eigenen Worten.
Er gehörte zur legendär-berüchtigten „Gruppe 47“, er hat von der DKP-Mitgliedschaft bis zum CSU-Gastredner das politische Spektrum fast ganz ausgemessen und mit zwei Dutzend Romanen die Seele des deutschen Bürgertums erforscht: Martin Walser, Großschriftsteller, Essayist, Stückeschreiber, Redner und Chronist der Nachkriegszeit, kann am morgigen Freitag seinen 90. Geburtstag feiern. Den kann niemand besser würdigen als er selbst – deshalb haben wir Sätze aus seinen Romanen, Tagebüchern und Sachtexten zusammengestellt, die ein Spiegel seiner geistigen Konturen sind. Manche haben sich im Laufe von gut sieben Schaffensjahrzehnten verändert, die meisten aber blieben.
„Ich wage nicht an Gott zu denken, weil ich mich dann ändern müsste. Mir einen bequemen Gott auszudenken, bin ich zu stolz.“
Tagebücher, 1958
„Glaube nicht an die Aufmerksamkeit der Welt.“
Tagebücher, 1958
„Mein Herzenswunsch ist zu verheimlichen. Diesen Wunsch habe ich mit der Mehrzahl aller heute lebenden Menschen gemeinsam. Wir verkehren miteinander wie Panzerschiffe.“
Ein fliehendes Pferd, 1978
„Ich möchte nicht der sein, der ich war. Ich möchte der sein, der ich durch dich bin.“
Das dreizehnte Kapitel, 2012
„Die Welt ist ein andauernder Attentatsversuch, der schließlich zum Erfolg führt.“
Meßmers Momente, 2013
„Die Sehnsucht ist da, bevor sie ein Ziel hat. Die Sehnsucht findet jemanden, dem sie dann gilt.“
Meßmers Momente, 2013
„Ich bin die Asche einer Glut, die ich nicht war.“
Meßmers Momente, 2013
„Wir wissen mehr, als nötig wär, um gut zu sein.“
Meßmers Momente, 2013
„Und ein Fachmann ist ein Mensch, der seiner Phantasie nur Vorstellungen erlaubt, die sein Verstand in Wirklichkeit verwandeln kann. Also wird nur noch das Allermöglichste gedacht.“
Ehen in Philippsburg, 1957
„Ich bin eine Wohnung, aus der ich ausgezogen bin.“
Meßmers Momente, 2013
„Ich war nie gut so, wie ich war. Aus Widerspruch geboren.“
Muttersohn, 2011
„Mehr als schön ist nichts.“
Ein sterbender Mann, 2016
„Er liebte Straßen, die sich so bogen, als wollten sie wieder heim.“
Seelenarbeit, 1979
„Sie wissen nicht, was man mitmacht, wenn man sein Leben für die deutsche Literatur opfert. Fast nur dämliche Frauenfiguren, keine Erotik, die einem unter die Haut gehe, keine Sexualität, die es mit einem Glas Champagner aufnehmen könnte.“
André Ehrl-König in „Tod eines Kritikers“, 2002
„Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte.“
Ein springender Brunnen, 1998
„Ohne Heimat ist der Mensch ein elendes Ding, eigentlich ein Blatt im Wind. Er kann sich nicht wehren. Ihm kann alles passieren.“
Ein springender Brunnen, 1998
„Sich einfach der Sprache anvertrauen. Vielleicht kann sie etwas, was du nicht kannst.“
Ein springender Brunnen, 1998
„Man sollte euch alle kasernieren ... alle Verkäufer. Ihr seid Gottes letzte Würgeengel, er erfand den Vertreter und starb ... Das Unanständigste auf der Welt ist das Verkaufen, dieses Vergewaltigen auf niederster Ebene.“
Halbzeit, 1960
„Ich muss mich auf dem Papier festhalten, weil ich nirgends sonst möglich bin.“
Meßmers Momente, 2013