Bochum. Ausstellung „Tod im Salz“: Mutig inszeniert das Bergbau-Museum Bochum den Krimi vom konservierten Kumpel Farshid – mit Comic Noir und Boulevard.
Im Licht der Öllampe, beim Mittagessen tief im Salzbergwerk, muss Farshid plötzlich und laut furzen. Ein Moment der Stille – bevor die Kumpel um ihn herum anfangen zu lachen. „Willkommen Kleiner, das ist aber ein guter Einstand“, bekommt der 15-Jährige zu hören, während sein neuer Freund Aaram ihm aufmunternd auf die Schulter klopft. Alles halb so wild, Bauchschmerzen hätten sie hier öfter. Und so macht Farshid gleich an seinem ersten Arbeitstag mit zweierlei Bekanntschaft: der rauen Art der Bergleute und dem neuen Parasiten in seinem Darm.
Farshid, knapp 1,75 Meter groß, mit kurzen, rot-braunen Haaren und zwei auffälligen Ohrringen, lebte vor über 2400 Jahren in Persien, dem heutigen Iran. Forschende haben seine Geschichte in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus dem Salz von Chehrābād gelöst und präsentieren sie jetzt im Bochumer Bergbau-Museum der Weltöffentlichkeit. „Tod im Salz. Eine archäologische Ermittlung in Persien“ ist spannend erzählt und mutig inszeniert – wenn auch nicht immer für Menschen mit nervösem Magen.
„Tod im Salz“: Das Bergbau-Museum Bochum und „Salzmann 4“
Und damit zurück zum Mittagessen. Das endet für Farshid auf dem stillen Örtchen, weil sich ein großer Leberegel als ungebetener Gast bei ihm eingenistet hat. Erleichtert geht es für den Bergmann danach zurück auf die Sohle. Er befüllt grade einen Ledersack mit Abraum und Salzstücken, als er ein Knacken hört. Die Kumpel winken erst ab. Und rennen dann umso schneller, als über ihnen große Brocken aus der Decke brechen. Auch Farshid läuft jetzt um sein Leben. In der Panik fällt er auf den Bauch. Steine prasseln auf ihn, während er sich versucht aufzustützen. Keine Chance. Douzlākh, der „Ort des Salzes“, wird für den jungen Mann zum Grab.
Und so liegt Farshid über 2400 Jahre im Salz. Konserviert. Mumienfund unter Tage! Ein Glücksfall für die Forschung, denn alles bleibt erhalten. Eine wollene Tunika um den Oberkörper, mit Hose und Schuhen, die Kleidung durchwirkt von roten Schnüren. Das Eisenmesser am Gürtel. Zwei kleine Töpfchen, gefüllt mit einer öligen Paste zum Schutz vor Rissen an den Händen. Eine blaue Glasperle als Talisman zum Schutz vor den Gefahren unter Tage. Und viele andere Fundstücke, die Archäologen zusammen mit „Salzmann 4“ und sieben weiteren Bergarbeitern wieder ans Tageslicht befördern.
Projektleiter Stöllner: „Wir können neue Wege ausprobieren“
Die Erkenntnisse aus der folgenden, mühevollen und jahrelangen Arbeit auf der staubigen Hochebene in der Provinz Zanjān landen 2019 schließlich auf dem Schreibtisch von Sasan Saidi. Der Zeichner, geboren im Iran und zuhause in Berlin, hat das Gefühl im Handgelenk, aus rohen Bleistift- und Tintenstrichen kunstvolle Formen und Figuren zu entwickeln. Ein Talent, das schon Papst Franziskus begutachtete – und ihm den Auftrag des Bergbaumuseums einbringt, den Salzmann Farshid wieder auferstehen zu lassen.
Ein ungewöhnlicher Auftrag. Einerseits für das Museum: Projektleiter Thomas Stöllner und Ausstellungsdesignerin Karina Schwunk entscheiden sich dagegen, schlicht Fundstück an Bild an Text zu reihen. Stattdessen präsentieren sie die mit fast kriminaltechnischer Sorgfalt zusammengetragenen Puzzlestücke aus dem Leben des Bergmanns, um sie am Ende zu einem vollständigen Bild zusammenzufügen – in Saidis Comic über den letzten Tag von Farshid. Thomas Stöllner dazu: „Wir haben einen Bildungsauftrag rund um den Bergbau, können dabei aber auch neue Wege und Konzepte ausprobieren.“
Zeichner Sasan Saidi wird zum Detektiv der Geschichte
Der renommierte Zeichner und das Museum wählen die Darstellungsform der Graphic Novel im Noir-Stil mit seiner Reduzierung durch den starken Schwarz-Weiß-Kontrast. Eine Umstellung für Saidi: „Ich erfinde gerne Details und schmücke aus. Jetzt durfte ich aber nicht interpretieren, denn es musste ja alles archäologisch korrekt sein.“ Und so wird der Zeichner auch selbst zum Detektiv der Geschichte, wenn er etwa recherchiert, ob das historische Rind nun Hörner hatte oder nicht. Sein Kommentar: „Da bin ich manchmal verrückt geworden.“
Sowieso entwickelt sich der Auftrag für Sasan Saidi schnell zu etwas sehr Persönlichem. Die Arbeit in den südafrikanischen Goldminen im Kopf, denen er als Sohn eines Entwicklungshelfers nah war, seine Platzangst, die Fotos von der Mumie mit aufgestütztem Arm – all das fließt ein in die Zeichnungen. Saidi: „Ich habe mich verbunden gefühlt.“
Online-Rundgang mit einer Schwäche
Die Wucht der überlebensgroßen Zeichnungen entfalten sich jedoch eher live als im Online-Rundgang. Dafür bietet die digitale Version der Ausstellung jede Menge weitere Features: Videos mit Einblicken in die archäologische Arbeit vor Ort und Interviews der Forschenden ergänzen die Texte und Bilder; 3D-Modelle der Fundstücke und Mumien bieten Geschichte zum Anklicken.
Die Bewegung klappt mit der Maus oder den Pfeiltasten und erfordert ein bisschen Übung und Geduld. Kinder können sich von der Figur Amyra und ihrem Onkel Dr. Archibald Loge führen lassen, der Rätselraum Ruhrpott bietet zudem eine kostenpflichtige, interaktive Quiztour an. Eigentlich sei „Tod im Salz“ gar nicht so digital geplant gewesen, erst durch die Pandemie hätten sie die Ausstellung schrittweise visualisiert, bemerkt Projektleiter Stöllner.
Boulevardeske Aufmachung – von Salzmann 4 kein Kommentar
Und dann wäre da noch die boulevardeske Aufmachung einiger Ereignisse und Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt. Reißerische Überschriften treffen in der Ausstellung auf die sachliche Arbeit der Wissenschaftler – kann das gut gehen? „Natürlich ist da die Spannung zwischen der Meldung und der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Unsere Anmutung muss gefallen“, sagt Thomas Stöllner und gibt zu, die eine oder andere Diskussion um den Ansatz geführt zu haben. Andererseits: „Die Geschichte von Farshid ist dramatisch“, wirft Zeichner Saidi ein und schließt: „Das ist eine interessante Art, eine Ausstellung zu präsentieren.“ Von Salzmann 4 kein Kommentar.
Die Ausstellung ist bis in den August hinein geplant, allerdings erst ab voraussichtlich Mai besuchbar – online dagegen schon jetzt unter www.tod-im-salz.de.