Düsseldorf. Beuys gestern und heute: Die Düsseldorfer Kunstsammlung NRW sucht Spuren des Aktionskünstlers mit viel Dokumentation und wenig Werken.
Joseph Beuys ist wieder im Gespräch. Seine aktuelle Prominenz verdankt sich aber weniger der unverhofften Aktualität seines Werks als dem Datum der Geburt am 12. Mai vor 100 Jahren. Und sie verdankt sich der Vereinnahmung von Beuys als Staatskünstler jenes Landes Nordrhein-Westfalen, das ihn 1972 mit Polizeigewalt aus seinem Professorenamt an der Düsseldorfer Kunstakademie entfernte.
Beuys, Anacharsis Cloots und – Moyland
Tätig bereut hat das Land diesen Frevel am prominentesten Lehrer seiner Künstlerschmiede längst. Vor allem mit der Einrichtung eines Beuys-Museums im eigens dafür restaurierten Schloss Moyland in abgelegenen Gefilden des Niederrheins; Beuys selbst hätte es lieber im Schloss Gnadenthal gehabt, wo eines seiner Idole herstammte, Baron Anacharsis Cloots, Vorkämpfer der Französischen Revolution. Aber nun ist Schloss Moyland zwischen Kalkar und Kleve seit 1997 immer schöner hergerichtet, wenn auch schlecht besucht, sofern nicht gerade Weihnachtsmärkte die Besucherstatistik aufbessern.
Durch eine unglückliche Stiftungskonstruktion liegt das Land zudem seit Jahrzehnten mit der Sammler- und Stifterfamilie van der Grinten im Clinch. NRW finanziert das Museum mit Millionen, hat aber kein Durchgriffsrecht. Die letzte Direktorin Bettina Paust floh ins Kulturbüro Wuppertal; den Chefsessel, seit 2016 unbesetzt, listet das Museum nach einem Posten in der Buchhaltung und einer „Aufsichtskraft (Vollzeit)“ unter „Freie Stellen im Museum“.
Isabel Pfeiffer-Poensgen heuerte Eugen Blume und Catherine Nichols an
Aber jetzt, im Jubiläumsjahr, soll alles besser werden. Und mehr Wellen schlagen. NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) preist Beuys als „Grenzensprenger im besten Wortsinn“, als „Fragensteller ohne Anspruch, auf alles Antworten zu finden“, in einer „Kunst, die sich alles zutraut und zumutet“, Demokratie und Freiheit inklusive. Mit Eugen Blume und Catherine Nichols hat das Land vor Monaten führende Beuys-Experten eingeladen, ein Festprogramm mit mehr als einem Dutzend Ausstellungen von Bonn bis Dortmund zu kuratieren, nebst Konzerten, Performances, Symposien, Ringvorlesungen und einem digitalen „Beuysradio“, das an seinem Geburtstag gleich dreisprachig auf Online-Sendung gehen soll.
Die vielleicht schwerste Aufgabe fiel allerdings Blume und Nichols selbst zu: In der Staatsgalerie des Landes, der Kunstsammlung NRW, sollten sie Beuys in die Gegenwart holen, für sie fruchtbar machen. Aber wie geht das bei einem Mann, der wie kein zweiter selbst elementarer Bestandteil seiner Kunst war? Der mit seiner Aura aus hagerer, großer Gestalt und hellwachen Augen, aus edlen Hüten, Anglerweste und unablässigem Redestrom die banalsten Dinge aus altem Holz und Filz, aus Fett und rostigem Metall in Kult-Gegenstände verwandelte und zu Kunst erklären konnte.
„Kosmopolitische Übungen“
Zu Recht haben Blume und Nichols Beuys’ Aktionen als Kern seines Schaffens und seines erweiterten Kunstbegriffs erkannt, von der Bildererklärung für den toten Hasen bis zu den 7000 Eichen für Kassel, vom Boxkampf für direkte Demokratie bis zu einer kaum bekannten Aktion im Moor bei Eindhoven.
Die Filme, Fotos und Tonaufnahmen solcher Aktionen ergänzt die Ausstellung „Jeder Mensch ist ein Künstler. Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ in zwölf Kapiteln um Dokumente, Filme, Fotos und wenige Kunstwerke von Menschen weltweit, die Beuys’ Erbe weiterführen, indem sie mit Mitteln der Kunst, der Rede und der Ganzheitlichkeit in die Gesellschaft wirken, als „soziale Plastik“ nach Beuys.
Fatou Bensouda, Charles A. Foster und Suzanne Lacy
Fatou Bensouda etwa erklärt ihr Wirken als Staatsanwältin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag; der sympathische Tierversteher Charles A. Foster lässt nicht nur ahnen, was der Kojote empfunden haben mag, der tagelang mit Beuys in einer New Yorker Galerie eingesperrt war. Ein Drei-Minuten-Film erinnert an die „Milk Tea Alliance“, die in Thailand mit Handzeichen gegen die Regierung demonstrierte, Suzanne Lacy beeindruckt mit dem „Gelben Manifest“, zu dem sie Menschen an der irisch-nordirischen Grenze im Auftrag eines Kunstfestivals bewegte, damit sie ihre Interessen artikulierten, die im Brexit-Streit zwischen der EU und Großbritannien pulverisiert zu werden drohten. Mierle Laderman Ukeles wiederum propagiert die Rückverwandlung der weltgrößten Mülldeponie Fresh Kills in Staten Island vor New York.
Das Schweigen von Marcel Duchamp
Inwieweit Beuys solche Formen künstlerischer Gesellschaftspraxis direkt beeinflusst hat, kann auch die Ausstellung nicht klären. Dafür wird hier sichtbar, wie sehr das Redenredenreden des Künstlers Beuys zu seinem Werk gehört, auch als Gegenpol zu Marcel Duchamp, dessen Schweigen er ja überbewertet fand. Zur stummen Form der Kunstverweigerung im Readymade ist Beuys beredter, weihe- und wirkungsvoller Eingriff in die Gesellschaft in der Tat die ganz andere Reaktion darauf, dass in Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ ein Nullpunkt der Avantgarde erreicht war.