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Ein Dokumentarfilm gewährt einen tiefen Einblick in die Seelenwelt der einstigen Boygroup Take That. Robbie Williams verrät, dass er Gary Barlow einst „vernichten“ wollte. Nach 15 Jahren haben sich die Musiker zusammengerauft.
Der Blick wirkt fahrig, die Haare sind zerzaust, die Anspannung ist Robbie Williams anzusehen. Dann versucht der Popstar zu erklären, warum er wieder ein Mitglied von Take That geworden ist: „Das ist der perfekte Moment dafür, dass ich etwas mache, außer nur Robbie Williams zu sein“. Und seine einstigen Boygroup-Gefährten Gary Barlow, Jason Orange, Mark Owen und Howard Donald bezeichnet er als „fantastisch“ – dabei hatte er nach der Trennung vor 14 Jahren vor allem mit dem anderen Alpha-Tier Barlow einen öffentlichen Krieg ausgetragen, der in Spott und Hass-Tiraden gipfelte.
Wie es zu dem Sinneswandel kam und welch schwierigen Weg die fünf Briten bis zur endgültigen Wiedervereinigung hinter sich bringen mussten, zeigt die sehenswerte Dokumentation „Look Back, Don’t Stare – A Film About Progress“, die ProSieben im Nachtprogramm am heutigen Freitag um 0.30 Uhr versteckte.
Ihr großes Ziel: Sie wollen endlich Freunde werden
Fast ein Jahr lang haben die Regisseure Fred Scott und Nick Davies die Gruppe begleitet – vom ersten Treffen im November 2009 über die offizielle Bestätigung des Williams-Comebacks im Juli 2010 bis zur Fertigstellung des neuen Albums „Progress“ im September 2010. Der Film zeigt fünf Menschen, die nach ihrem Aufstieg aus der Arbeiterklasse zu Popstars in einem reifen Alter einen Neuanfang wagen – nicht nur auf sondern auch hinter Bühne. Ihr großes Ziel: Sie wollen endlich Freunde werden.
Ein kurzer Rückblick zu Beginn der Doku umreißt die Jahre von der Gründung der Boygroup bis zur Trennung sowie den steilen Aufstieg von Robbie Williams bis zum Drogen-Entzug in einer Sucht-Klinik. Im September 2009 treffen sich die fünf Musiker unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um in New York ein neues Album aufzunehmen und gleichzeitig einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Williams gibt offen zu, dass er nervös und ängstlich ist und sich zurücknehmen will. Er kann offenbar nicht so recht einschätzen, wie ihn die anderen wieder aufnehmen werden.
Bei den Aufnahmen setzen die Dokumentarfilmer nicht auf eine durchgestylte Film-Optik, sondern wählen die Hand-Kamera-Perspektive. So hat der Zuschauer das Gefühl, dass er im Musik-Studio ein unsichtbarer Beobachter ist. Auch die dazwischen geschalteten Einzel-Interviews gewinnen durch die ausschließlich in Schwarz-Weiß gefilmten Sequenzen eine große Nähe und Eindringlichkeit. So wird der Film zu einer bewegenden Dokumentation, die nicht nur die puren Take That-Fans fesseln dürfte.
Boygroup-Stars sind erwachsen und nachdenklich geworden
Die einstigen Boygroup-Stars sind erwachsen und nachdenklich geworden. Trotz ihrer Erfolge mit der Musik scheinen sie noch immer auf der Suche – nach Glück, nach Sicherheit, nach einem „Ort des Friedens“, so Robbie Williams. Howard Donald beschreibt die Wiedervereinigung mit dem Begriff Vollständigkeit. Doch die Skepsis gegenüber Williams ist nicht gerade gering: Donald bezeichnet ihn als „wankelmütig“ und wenig selbstbewusst. Gary Barlow nennt Robbie „labil“ und spielt wohl auch auf dessen Drogen-Vergangenheit und seine depressive Art an: „Ich möchte nicht, dass Rob verschwindet. Ich denke nur… Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte.“ Später gibt Williams zu, dass er ohne den Entzug in einer Klinik wohl schon lange tot sein würde.
Im November 2009 verkünden Take That während einer Gala in London offiziell die Rückkehr ihres „alten Freundes“ Robbie Williams. Doch nur eine Woche später werden die Befürchtungen wahr und Robbie macht einen Rückzieher, weil ihm die Energie für „so etwas Großes“ fehle. Noch erschreckender: Williams spricht davon, dass er seine Lebenskraft verloren habe. Spätestens hier offenbart sich der Abgrund, an dem sich Williams viele Jahre entlang bewegt hat.
Während Mark Owen der geplatzten Wiedervereinigung nachtrauert, schlägt bei Gary Barlow das Ego durch: Er trauert vor allem den vielen neuen Hits hinterher – kein Wort über Williams. Erst Mark Owen kann den Exzentriker Williams zu einem erneuten Versuch überreden. Im Januar 2010 in Los Angeles fällt das erneute Wiedersehen der vier Take That-Mitglieder mit Robbie nicht so herzlich aus wie beim ersten Mal. Keine Umarmung stattdessen halten sie einen körperlichen Abstand.
Zwischen Instrumenten, Mischpulten und Mikros sprechen sie über Image, Neid und Robbie als „König der Popmusik“. Worte werden sehr bewusst gewählt, um keinen erneut zu verletzten. Diesmal scheinen sie über ihre eigenen Egos zu siegen. Zu groß ist die Angst vor einer Zukunft ohne Wiedervereinigung. Zu groß ist der Wunsch sich weiter zu entwickeln – und nach 20 Jahren den nächsten Schritt zu machen: endlich Freunde zu werden.
Einblick in das Seelenleben einer Boygroup
Robbies Geheimkonzert
In Rückblicken gewähren die Dokumentarfilmer einen Einblick in das Seelenleben einer Boygroup, die als Produkt nur auf Erfolg getrimmt und vom Management gesteuert wurde. „In den Anfangszeiten der Band hatten wir Probleme, wenn es einem von uns schlecht ging und er Sorgen hatte. Wir hatten keine Zeit für denjenigen und mussten einfach weitermachen“, erinnert sich Jason Orange. „Wir wussten, wie man ein Popstar ist, bevor wir wussten, wie man ein Mann ist“, erzählt Mark Owen. Damals konnte er weder Texte schreiben, noch gut tanzen – nur dank seines Aussehens sei er dabei gewesen: „Als Kind gewann ich mal einen Lächel-Wettbewerb in Oldham.“
Aus dem kreativen Gefängnis der Boygroup Anfang der 90er Jahre wollte vor allem Robbie Williams ausbrechen. Ihm reichte es nicht, nur als Background-Tänzer für Gary Barlow zu fungieren. Dieser wollte wiederum alle Texte selbst schreiben und am liebsten noch alle Lieder selbst singen. Während sich Williams immer weiter von der Band entfernte, ging er dem Rest auf die Nerven und sie drängten ihm zum Ausstieg. Doch damit war es noch lange nicht getan. Es folgte eine Medienschlacht zwischen Gary Barlow und Robbie Williams. Letzterer gibt offen zu, dass er Barlow „vernichten“ wollte: „Sogar als er am Boden lag, habe ich weiter gemacht.“ Heute bezeichnet Williams seinen einstigen Kontrahenten als „Vaterfigur“ und „Kapitän des Schiffs“.
Wie schwierig der Neuanfang ist, zeigt sich nicht nur beim Komponieren im Studio, wo die Alpha-Tiere über Verse diskutieren. Ein weiterer Rückschlag war die Alkohol-Entzugstherapie von Mark Owen im April 2010. „Ich darf nie wieder trinken“, sagt er offen im Kreise der Bandmitglieder. Eine Situation, der sich Robbie Williams bereits seit zehn Jahren aus eigener Erfahrung bewusst ist.
Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten gab es diesmal keinen Druck auf Mark Owen für eine schnelle Rückkehr aus der Reha. „Erst wenn er wirklich bereit sei“, solle er wieder zur Band stoßen. Die neue Gemeinschaft unterstreicht auch Gary Barlow indem er betont, wie sehr er die Gesellschaft von jedem genoss und wie schön es sei, mit ihnen über Gefühle zu reden.
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