Frankfurt/Main. .

Melinda Nadj Abonji ist Trägerin des Deutschen Buchpreises 2010. In Serbien geboren, augewachsen mit Missverständnissen und Schubladen, ist die Autorin des Buches „Tauben fliegen auf“ jetzt in der Schweiz auf der Suche.

Sechs Jahre hat Melinda Nadj Abonji gearbeitet an ihrem Roman, und jetzt meinen alle nur: Sarrazin. „Es kann schon sein“, sagt die Trägerin des Deutschen Buchpreises 2010, „dass bei der Vergabe Überlegungen eine Rolle gespielt haben, ein Zeichen zu setzen. Aber man hofft ja doch, dass es um den Text ging.“ Sie sitzt an einem kleinen Stand auf der Frankfurter Buchmesse hat, sie sieht ein wenig müde aus. Sie spricht langsam, zögernd, mit deutlich schweizerischem Tonfall. Viele Sätze beendet sie mit: So. Oder: Ja?

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Missverständnisse, Schubladen. Damit ist sie aufgewachsen. 1968 wurde Melinda Nadj Abonji in Serbien geboren, ihre Familie gehört der ungarischen Minderheit in der Vojvodina an. Im Roman teilt Protagonistin Ildiko ihr Schicksal, es geht um die Schwierigkeiten, sich anzupassen und sich dabei nicht selbst zu verlieren. Einmal sagt Ildikos Mutter, die Einwanderin: „Wir müssen uns unser Schicksal erst erarbeiten.“

2004 begann Melinda Nadj Abonji mit der Arbeit am Roman, es gab zwei Auslöser: „Eine Abstimmung, bei der es um die erleichterte Einbürgerung der Einwanderer der zweiten Generation ging. Also konkret um solche Menschen wie mich.“ Die Propaganda der Schweizerischen Volkspartei zeigte fremde Finger, die nach Schweizer Pässen griffen - das Gesuch wurde abgelehnt. „Das war damals schon sehr erschütternd für mich.“ Zweitens aber verbrachte sie den Herbst des Jahres in der französischen Schweiz, auf Einladung der Schweizerischen Kulturstiftung und mit vielen anderen Künstlern. „Das hat mich sehr an die Vojvodina erinnert. Es gab ähnliche Bäume, die Pappeln, damals war Weinernte, die Leute waren sehr ausgelassen.“

Schönheit der Fehler

Sie reiste nach Serbien, erhielt Stipendien, pausierte, weil sie einen Sohn bekam, trat auf als Musikerin, arbeitete als Dozentin in Zürich, schrieb. Das Ende des Romans ist beinahe versöhnlich, aber nur beinahe. „Die Schweiz ist ein Land, das die Menschen eigentlich auflaufen lässt“, sagt sie: „Ein Auflaufmodell. Weil die Menschen so verhalten sind in ihren Gefühlen. Wenn man so etwas zeigt, ist es immer fehl am Platz. Es ist fast schon ein politischer Akt, überhaupt Gefühle zu zeigen, etwas preiszugeben.“

Wie müsste ein ideales Einwanderungsland aussehen? „Jetzt wird viel debattiert, was die Leute alles machen müssen, wenn sie in ein Land kommen. Man sieht gar nicht, was sie mitbringen.“ Die Menschen aus Jugoslawien, zunächst erwünschte Gastarbeiter in der Schweiz, wurden durch die Flüchtlings-Ströme des Balkankriegs zu „Jugos“ und „Drecks-Jugos“. „Wenn man mehr auf die zwischenmenschlichen Begegnungen setzen würde, würde das nicht so schnell pauschalisiert. Man muss die individuellen Geschichten sehen!“

„Die sprachlichen Fehler meiner Eltern haben eine eigene Schönheit!“

Es sei nicht „alles nur Wertezerfall“, betont die Autorin. Wer genau hinschaue, erkenne hinter vermeintlich „Falschem“ etwas anderes: „Die sprachlichen Fehler meiner Eltern haben eine eigene Schönheit! Mich inspiriert das sehr. Ein baskischer Freund von mir, der seit einem Jahr in der Schweiz ist, sagt: Ich gebe mir eine Dusche. Und nicht: Ich nehme eine Dusche“ - wie es im schweizerischen Hochdeutsch heißt. „Das ist doch wunderschön! Und man denkt, richtig, warum „nimmt“ man eigentlich eine Dusche?“

Am Ende des Roman legen Ildiko und ihre Schwester Nomi zu Allerheiligen Blumen auf ein Grab, so, wie es in ihrer Familie immer schon Brauch war. Es ist nicht jener Friedhof in der Vojvodina, wo ihre geliebte Großmutter Mamika liegt; es ist ein Gemeinschaftsgrab auf dem Zürcher Friedhof Sihlfeld. Melinda Nadj Abonji schreibt bereits an einem neuen Roman - „es sollte eine Erzählung sein, aber wurde immer größer.“ Das Thema? „Geschwister.“