Essen. .

Wagners Riesenwerk „Der Ring des Nibelungen“ ist jetzt am Aalto-Theater in einer neuen Inszenierung vollendet worden. Der letzte Teil hatte jetzt mit „Götterdämmerung“ Premiere.

Vollendet das ewige Werk!? Essens Nibelungenring ist seit Sonntag zu Ende geschmiedet. Schlüssig rund ist er nicht geworden. Barrie Koskys vielgestaltige „Götterdämmerung“ kann nicht mehr aufwerten, was ein plumpes „Rheingold“ (Regie: Tilman Knabe) und Anselm Webers leerer „Siegfried“ dem Vierteiler antaten.

Kosky ist in Essen kein Publikumsliebling. Er hat die Bürger verstört mit einem faszinierend trieb- und todgeladenen „Fliegenden Holländer“ und in bestechender Reduktion einen „Tristan“ von überregionaler Strahlkraft inszeniert, auch wenn er Romantiker im Parkett ratlos zurückließ.

Martialische Geschichte

Und nun die Götterdämmerung, diese martialische Geschichte vom Ende, dem alle zueilen, die nicht lassen können von einem kleinen Schmuckstück, das Weltmacht bedeutet. Dieser Ring richtet die Liebe hin, verschafft Gierigen den Schein des Aufstiegs. Kein Mensch lässt von ihm, obschon die Mahner nicht schweigen. Wer wirft schon Kapital zurück in den Rhein? Wagners Oper ist schwer zu inszenieren, arm an Deutungschancen ist sie nicht.

Koskys Inszenierung, die laute Buhs und Bravos zum Echo hatte, ist eine Dekonstruktion auf dem Weg zur Annäherung. Sie ist Entschlackung und Vermenschlichung der Mythen. Koskys Zugriff ist mal eine das Komische in Kauf nehmende Verkleinerung, dann wieder ein monströses Vergrößern - wie wenn man die Lupe auf etwas hält, um es erkennen zu können.

Leider manche Mätzchen

Das ist einer linearen Erzählweise kaum verpflichtet. Es birgt verzichtbare Mätzchen, wie etwa den Honeymoon des Paares Brünnhilde und Siegfried (Reiterspiele...) und kündigt Linien an, die sich als Strohfeuer erweisen - so die Story als Film im Kopf der prophetischen Nornen, während „Walhall Productions“ flimmert und die Weltesche als Broccoli serviert wird.

Welkes Weltwissen

Doch sind solche nicht eben neuen Stränge (das Filmkonzept hat Herbert Wernicke in Brüssel samt verwitterten UFA-Studios deutlich konsequenter behauptet) nur die eine Dimension des Abends. Stark ist Kosky da, wo er von Leerstellen ins plastische Erzählen gelangt. Der Taktstock zum Vorspiel ist noch nicht erhoben, da betritt eine splitternackte Greisin die Bühne. Es ist Ur-Mutter Erda. Ohne theatralischen Pomp entsteht ein Bild, das sich einbrennt: Welk ist das Wissen der Welt geworden. Wer jetzt nach der Macht greift, ignoriert es kalt.

Kosky findet viele Momente, in denen das Nichts regiert und doch alles gesagt ist. Da braucht es kaum mehr als einen Stuhl auf kahler Bühne, um Hagens düstere Wacht als Psychogramm eines Unlenkbaren zu dokumentieren. Hagens Vater Alberich ist ein abgelebter Strippenzieher, zur Pietà geschrumpft, wimmernd auf dem Arm der mordenden Maschine, die sein Sohn ist.

Figuren aus einem deutschen Schattenreich

Andererseits gibt es arge Überfrachtungen - ein deutsches Schattenreich von Verdun bis zu Tonfilm-Girls schafft es im schwachen dritten Akt nur noch als artifizielle Behauptung auf Klaus Grünbergs Bühne. Andere Tableaus sind aufwühlend präzis choreographiert: Hagen rekrutiert seine Mannen als tumbe Skinheads aus einer Riesenbox - ekligen Käfern gleich, ein Wimmelbild des Untergangs.

Dieser Abend, der viel Großes aus schlichten Kartons zaubert (was alles über die Banalität des Bösen sagt) ist gewiss angreifbar. Ohne Belang ist er nicht.

Orchestral ist der Abend packendes Musiktheater, in dem Stefan Soltesz das Kunststück vollbringt, mit hochdramatischem Impetus die großen Bögen zu durchmessen, ohne je den wunderbar warmtönenden Klang der Philharmoniker zu gefährden. Keine ideale Brünnhilde ist Caroline Whisnant - ihr Deutsch ist kurios, ihre Höhe grell, ihre Mittellage problematisch. Jeffrey Dowd (Siegfried) ist für Wagner längst eine Bank in Essen. Ieva Prudnikovaites Waltraute singt anrührend expressiv. Heiko Trinsingers Gunter trägt staunenswert belcantische Züge. Meistgefeiert: Attila Jun als Hagen. Was für ein Bass-Material! Die Zeit wird ihm gewiss noch mehr Gestaltungstiefe bringen.

Aufführungen 2010 sind ausverkauft