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Stefan Raabs Bundesvision Song Contest geht in eine neue Runde. Musikalisch war der Wettbewerb selten so abwechslungsreich – und der Altersdurchschnitt selten so hoch.

Deutschland schwankt zwischen Karibik und Kellergewölbe. Den Eindruck könnte man gewinnen, wenn man sich die letzten Sieger des Bundesvision Song Contest anschaut. Mit Seeed und Peter Fox hat zweimal die Reggae-/Dancehall-Fraktion gewonnen, mit Oomph! und Subway to Sally zweimal der Teutonenpop. (OK, es gab auch noch „Juli“, aber das ist lange her.)

Seeed und Peter Fox stammen aus Berlin, Oomph! und Subway to Sally aus Niedersachsen bzw. Brandenburg. Es reizt ein bisschen, daraus eine These zu stricken: Die Großstädte tanzen; die Provinz ist schlecht drauf. Das ist natürlich Quatsch, zeigt aber, dass der Charme des Bundesvision-Contest auch in der Frage liegt, ob die einzelnen Bundesländer – wie manche Nationen beim „Grand Prix“ – einen bestimmten Sound haben.

Auffällig ist die hohe Zahl älterer Bands und Musiker

Sänger Der Graf von Unheilig. Imago
Sänger Der Graf von Unheilig. Imago © imago stock&people

Es sieht nicht danach aus. Fast kein Bundesland tritt mit der Musikrichtung des Vorjahres an. Selbst die langjährige HipHop-Bastion Hamburg schickt mit Selig diesmal eine Rockband vor. Musikalisch war Raabs Song Contest selten so abwechslungsreich. Zwischen all den Indie-, HipHop-, Elektro-, und Spaßpop-Gruppen lässt sich kaum ein Muster entdecken. Auffällig ist nur die hohe Zahl älterer Bands und Musiker.

Da wäre zum Beispiel Annette Humpe, deren Karriere schon zu Zeiten von Helmut Schmidt losging. Zur NDW-Zeit war sie mit den Neonbabies und Ideal unterwegs, 30 Jahre später scheint sie mit Ich + Ich immer noch den Zeitgeist zu treffen. Anderes Beispiel: Dirk Darmstaedter. Ende der 80er spielte er bei den Jeremy Days („My Brand New Toy“). Inzwischen ist er bekannter für seine Solo-Projekte und die Arbeit beim verdienstvollen „Tapete“-Label in Hamburg

Ein bisschen jünger als Darmstaedter – aber nicht viel – ist Jan Plewka. Er tritt mit der Band Selig auf, die ihre ersten Hits schon Mitte der 90er hatte. Vielleicht war es die Reunion-Tour im letzten Jahr, die Plewka Mut gemacht hat. Die Band spielte fast nur in ausverkauften Clubs.

Älter, als man glauben könnte, sind auch Unheilig (NRW) und Blumentopf (Bayern). Die Aachener Pathos-Rocker gibt es seit 1999, die Münchner HipHop-Band sogar schon seit ’92.

Gibt es eine Nische zwischen Karibik und Kellergewölbe?

Bei so vielen golden agern freut mich sich, auch mal ein paar Schulhof-Favoriten wie Stanfour zu sehen. An der Band aus Schleswig-Holstein kann man, nebenbei bemerkt, gut ablesen, dass eine junge Zielgruppe nicht zwangsläufig auf Zahnspangensound hinausläuft. Für eine Gruppe von der 8000-Seelen-Insel Föhr klingen Stanfour erstaunlich international. Durchaus ein Titelanwärter bei dieser Sendung.

Bleiben die Geheimtipps. Indie-Pop hat es ja traditionell ein bisschen schwer beim Bundesvision Song Contest. Schade eigentlich, denn mit Auletta (Rheinland-Pfalz) und Mikroboy (Saarland) treten zwei Bands an, die sich auf Darmstaedters Tapete-Label – siehe oben – gut machen würden und denen man durchaus mehr Airplay gönnt.

Aber wer weiß. Vielleicht führt die Abwechslung im Teilnehmerfeld auch mal zur Abwechslung auf dem Siegertreppchen. Es muss doch noch eine Nische geben zwischen Karibik und Kellergewölbe ...