Berlin. .

Ein Projekt aus Kunst, Forschung, Science und Fiction erkundet die Zukunft von Mensch und Evolution. Beim Besuch der Berliner Charité trifft man auf Zellhaufen, Wachswesen und den Traum vom perfekten Menschen.

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen – aber was, wenn die Ärzte selbst Visionen haben? In Berlin haben sich gerade Lebenswissenschaftler, Biokünstler und Mischformen getroffen, um die Zukunft zu entwerfen. „Leben 3.0“ heißt das Projekt aus Kunst, Forschung, Science und Fiction - und man kriegt es durchaus mit der Angst zu tun.

„In drei bis fünf Jahren“, sagt Hans-Hilger Ropers, „kann sich jeder sein Genom für 1000 Euro entschlüsseln lassen.“ Die Amerikaner, glaubt der renommierte Berliner Genetiker, sind in zehn Jahren soweit, dass bei Neugeborenen routinemäßig ein Genom-Check unternommen wird. „Die Deutschen sind bei so etwas aus historischen Gründen furchtbar ängstlich.“ Ropers will zusammen mit einem Dutzend Kollegen in den nächsten Wochen öffentlich für eine Liberalisierung des strengen deutschen Gendiagnostikgesetzes streiten.

Nachbessern, optimieren, ersetzen, aussortieren

Der Traum vom perfekten Menschen ist alt, aber nie schienen die Techniken dafür so nah – und so beunruhigend. Nachbessern, optimieren, er­set­zen, aussortieren: 90 Prozent der Schüler und Studenten würden einer Umfrage der Uni Mainz zufolge Hirndoping betreiben, wenn die Sub­stanzen gesundheitlich unbedenklich und legal erhältlich wären: Die einen sind beseelt von den neuen Möglichkeiten der genetischen Technologien, von kosmetischer Chirurgie, Transplantation, Präimplantationsdiagnostik und Hirndoping, die anderen schauen schreckensstarr auf den Machbarkeitswahn und seine Nebenwirkungen.

Kunstobjekt aus der Ausstellung
Kunstobjekt aus der Ausstellung "Leben 3.0 und die Zunkuft der Evolution" © Reiner Maria Matysik

Die Frage steht also im Raum: Hat sich der Mensch von Schöpfungslehre und Evolutionstheorie verabschiedet und nimmt jetzt die Sache selbst in die Hand? Ropers, der Genetiker, hätte neulich sein Genom entschlüsseln können, es gab gerade freie Kapazitäten im Labor. Aber er hat erst einmal seine drei Kinder gefragt. „Meine Gene sind ja zu fünfzig Prozent ihre.“ Seine Tochter war als einzige dagegen; sie ist Kinderärztin.

Seit sich der amerikanische Genetiker Craig Venter für die Herstellung einer künstlichen Zelle weltweit als genialer Schöpfer feiern ließ, müssen sich auch die deutschen Bio-Bastler fragen, was sie da tun – in ethischer Hinsicht. Roland Eils vom Heidelberger Institut für molekulare Biotechnologie sieht sich eher als Ingenieur denn als gottgleicher Erfinder. Eils’ Team hat gerade natürliche Darmzellen so umgestaltet, dass sie Krebszellen finden, per Gift abtöten und Selbstmord begehen. Bei Mäusen hat das bereits funktioniert.

Das Leben im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: Heute ist es die Zelle, das Zellgewebe, morgen das Organ – und übermorgen? Menschen, die nach einer Knochenmarkstransplantation zwei verschiedene DNA-Spuren hinterlassen, sind heute Stoff für Krimis. Und auch in der bildenden Kunst boomt BioArt, die oft gar nicht mehr im Atelier, sondern gleich im Labor entsteht. 1993 gab es die erste Überblicksausstellung „Genetische Kunst“ bei der Ars Electronica in Linz. Der wichtigste deutsche Vertreter ist Reiner Maria Matysik (Jahrgang 1967), dessen Arbeiten noch bis Januar im medizinhistorischen Museum der Berliner Charité zu sehen sind.

Radiologe mit Visionen

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Der gebürtige Duisburger arbeitet mit fleischfarbenen Zellhaufen, aber auch übermenschlich großen Wachswesen, die nichts als Schlund und Greifarm sind. Man denkt an den Rachen der Weltraumschabe in „Men in Black“ und sieht: Hollywood kennt unsere Ängste schon lange.

Matysik ist eine Art visionärer Radiologe. Einer, der bildgebende Verfahren ausprobiert, um die Schöne Neue Welt vorstellbar zu machen. Ein halbes Jahrhundert zuvor war es ebenfalls eine Künstlerin, die der Welt ein bildmächtiges Symbol der Zukunft lieferte: Die erste Zeichnung der Doppelhelix, das Modell der menschlichen DNA, stammt von Odile Crick. Sie war die Ehefrau von Francis Crick, der mit zwei anderen Forschern für das DNA-Modell 1962 den Nobelpreis bekam.