Duisburg. .
1300 Musiker, 2600 Zuhörer - Mahlers „Sinfonie der Tausend“ in Duisburg überzeugte mit musikalischem Leistungssport. Lorin Maazel führte seine Musiker unaufgeregt, aber effektvoll - ein Konzert mit winzigem Schönheitsfehler.
Der „Day of Song“ im Juni stand beim „!SING“-Projekt der Ruhr2010 gewissermaßen für den sängerischen Breitensport. Das professionelle Gegenstück, den Leistungssport, um im Bild zu bleiben, lieferte jetzt eindrucksvoll Gustav Mahlers „Sinfonie der Tausend“. Orchester und Chöre des Ruhrgebiets – 1300 Menschen als überwältigende Kulisse - stellten sich dem komplexen Werk in der zu Mahlers Zeiten erbauten Kraftzentrale des Landschaftspark Duisburg, auf den Tag genau 100 Jahre nach der Münchener Uraufführung vom 12. September 1910.
Damals war der Schlussakkord des ersten Teils „Veni, creator spiritus“ (Komm, Schöpfer Geist) kaum verklungen, als der streitbare Hans Pfitzner seinem Sitznachbarn mit einem geflüsterten „Wenn er nun aber nicht kommt“ sehr eindrucksvoll eine Ahnung von der ästhetischen Angreifbarkeit dieses nur von Superlativen bestimmten, fast halbstündigen Anrufungsmarathons vermittelt haben soll. Es gibt nur wenige Dirigenten, die den hochoffiziellen, das Kultische sozusagen erzwingenden Tonfall des Stücks so wirkungsvoll unterlaufen können wie Lorin Maazel.
1300 Mitwirkende, 2600 Hörer
Von daher war die Verpflichtung des 80-Jährigen zweifellos ein Glücksfall. Er, der schon früh mit einer wunderbar entschlackten Fünften von Bruckner von sich reden machte (die seinen Ruhm mitbegründete), nutzte das Riesenensemble von 1300 Mitwirkenden zwar durchaus zu angemessenen Klangeruptionen, ließ aber dem musikalischen Material stets Zeit, die Strukturen wie aus sich selbst heraus zu entwickeln. Ein anderer Ansatz als etwa bei Solti, der in seiner berühmten Einspielung formale Spannung durch einen Drive erzielt, dem der Hörer sich nicht zu entziehen vermag.
Bei Maazel wirkt das alles viel unaufgeregter. Das ging zuweilen fast schon so weit, dass man sich etwa im Vorfeld des berühmten „Accende lumen sensibus“, wo es dann ja kein Wenn und Aber mehr gibt, fragte, wie das wohl zu stemmen sei. Doch Maazel blieb diesem Kraftakt nichts schuldig. Wie der Klang der über tausend Stimmen nach der berühmten Luftpause regelrecht explodierte, hat wohl keinen der 2600 Hörer unbeeindruckt gelassen.
1000 Stimmen und ein geradezu magisches Pianissimo
Auch der Repriseneinsatz war von jener Qualität, die ästhetische Bedenken gern mal umschlagen lässt in geradezu kindliche Begeisterung. Wobei klar ist, dass eine Industriehalle nicht den philharmonischen Luxus eines akustisch raffiniert gestalteten Konzertsaals bietet.
Fast wie ein anderes Werk wirkt ja der zweite Teil, in dem Mahler die Schlussszene aus Faust II vertont hat. Eine ausgedehnte Orchestereinleitung, der vielfach lyrische Passagen folgen: Mahlers spürbares Bestreben, den Riesenapparat hier eher zu klanglicher Differenzierung als zu gesteigertem Schalldruck zu nutzen. Erst ganz zum Schluss dreht er mächtig auf, nachdem der Chorus mysticus zunächst kaum hörbar begonnen hat. Gerade diese Stelle geriet zum Triumph der Riesenbesetzung: gut 1000 Stimmen, die ein geradezu magisches Pianissimo erzeugen. Das hatte eine ganz eigene Qualität.
Lob für den ausgezeichneten Kinderchor
Alle beteiligten Revierorchester und -chöre von Duisburg bis Dortmund waren hochkonzentriert bei der Sache und belebten die komplizierten Vernetzungen der Mahler-Partitur. Besonderes Lob gebührt sicherlich dem ausgezeichneten Kinderchor.
Auch die acht Gesangssolisten Manuela Uhl, Nancy Gustavson, Anna Virovlansky, Lioba Braun, Kismara Pessatti, Thomas Studebaker, Dimitri Vargin und Jan-Hendrik Rootering bewältigten ihre Parts zwischen Oratorium und Beinahe-Oper durchweg auf der Höhe des Komponierten – bis auf die Solopassage im erwähnten Schlusschor vielleicht. Aber die hört man ohnehin nie so schön, wie die Noten versprechen.