Düsseldorf. .

So sehr Tolstoi seine Figuren in „Anna Karenina“ liebt, so sehr scheint Regisseurin Petra Luisa Meyer ihr Personal zu hassen. Inhaltlich entwickelt sich nichts und niemand in der Dramatisierung am Düsseldorfer Schauspielhaus, und sobald ein Hauch von Tiefe droht, wartet der nächste Gag.

Da hat sich die Kälte endlich verzogen, schon geht das wieder los: In dichten Flocken rieselt Schnee auf die Stadt. Die feine Gesellschaft kümmert’s kaum, sie bewegt sich pelzbemützt auf dickem Eis. Eine Schlittschuhbahn, Fürst Stepan Oblonskij fegt herbei: „Welcome to Anna Karenina on Ice”. Er fährt im Kreis, was ihm Beifall beschert. Der ist eher berechtigt als der für Petra Luisa Meyers und Hans Nadolnys „Anna Karenina”-Dramatisierung im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses.

Tolstois Roman von 1873 ist ein 1000-seitiges Mammutwerk. Eine Charakterstudie, die drei Familien, ihre Verstrickungen und Entwicklungen umfasst und dabei mit Gegensätzen spielt. Da ist das Landleben, positiv besetzt, und das überspannte Dasein der Aristokratie in der Stadt. Da sind die Verbindungen zwischen Oblonskij und seiner betrogenen Dolly, zwischen dem Existentialisten Lewin, in dem sich Tolstoi selbst skizzierte, und Kitty – und zwischen Lebemann Wronskij und Anna Karenina, die wegen ihm Mann und Sohn verlässt und ihrem Egoismus und der Moral des 19. Jahrhunderts zum Opfer fällt. Alle leben, alle irren, fast alle machen weiter. Tolstoi richtet nicht, er ist barmherzig. Tolstoi liebt seine Figuren.

Tolstoi liebt seine Figuren, Autorin und Regisseurin Meyer hasst ihr Personal

Das ist bei Autorin Meyer, auch Regisseurin des als Uraufführung verkauften Abends, anders. Meyer hasst ihr Personal. Lewin (Miguel Abrantes Ostrowski), der Zweifler, kommt als keifender Trottel daher, der selbst auf dem Eis den Rechen schwingt. Wronskij (Michele Cuciuffo), der im Roman nie eine Familie kannte, ist ein Alkoholiker in ödipaler Not; unentwegt hängt Muttern (Anke Hartwig) am Telefon. Der Karenin (Götz Schulte), Annas Gatte, Staatsmann ohne Leidenschaften: ein Choleriker. Kitty (Xenia Snagowski) – ein blasses Kind.

Aber am merkwürdigsten ist das, was mit Anna (Anna Schudt) geschieht. Die stolze Aristokratin, die aus Leidenschaft alles verspielt, wird hier zum verhuschten Frauchen, das viel Wäsche zeigt und sich von ihrem (leidenschaftslosen!!) Mann zusammenstauchen lässt. Kaum hat sie Wronskij getroffen, treibt sie es mit ihm quer über die Bühne. Diese Frau ist am Ende des ersten Teils (anderthalb Stunden) ebenso verstört wie am Ende des zweiten Teils (noch mal anderthalb Stunden).

Inhaltlich entwickelt sich nichts und niemand

Inhaltlich entwickelt sich nichts und niemand. Was passiert, ist optischer Natur. Ein herrliches Bühnenbild mit Leinwand, das sich prächtig ineinander schiebt. Die schicken Wohnungen in Moskau und Petersburg, in denen Menschen sinnentleert auf hohen Hacken in modischen Kostümen die Moral des 19. Jahrhunderts verkörpern. Hier hat Logik keine Chance, nichts wird ausgespielt. Sobald ein Hauch von Tiefe droht, wartet schon der nächste Gag.

Am Ende sind die bösen Männer schuld. Dafür könnte schlimmstenfalls ein Hirschlein stehen, das via Leinwand erscheint und mit samtigem Schnäuzchen ins Rund blickt. Anna setzt sich ein Geweih auf, dann schlurft sie in Männerkleidung barfüßig dem Tode entgegen. Im Schlussapplaus fällt der Blick auf zwei Babypuppen, die in der leeren Kulisse kraftlos aneinanderlehnen. Traurig sowas, wirklich traurig.

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