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Sein „Vorleser“ wurde zum Bestseller, nun schreibt Bernhard Schlink über „Sommerlügen“. Mit den Geschichten kehrt Schlink zu seinem eigentlichen Metier zurück.
Kleine Lügen, große Lügen, und Bernhard Schlink spielt sie alle durch: Lügen, die aus lauter Liebe geschehen, genau wie Lügen, die das Ende der Liebe einläuten – weil man mit dem anderen längst genauso einsam ist wie ohne ihn.
Schlinks neuer Erzählungsband heißt „Sommerlügen“ und handelt von Sommerlieben, von Zweier-Geschichten, aus der zweiten Lebenshälfte. Da ist der Schriftsteller, der seine ungleich erfolgreichere Frau mit gestohlenen Polizeibarrieren abschirmt gegen den Rest der Welt, weil er sie und das Kind für sich haben will. Da ist Richard, der Flötist bei den New Yorker Philharmonikern, der feststellen muss, dass die Frau, in die er sich verliebt hat, eine Superreiche ist, was alles schwer macht, weil sie ihn entwurzeln wird, herausreißen aus seinem Viertel und seiner Nachbarschaft mit den coolen Hispano-Kids und dem Zeitungsverkäufer.
Das verräterische Detail
Da wäre noch der merkwürdige Autor, der seine Freundin belügt und in Baden-Baden neben, aber nicht mit einer Freundin schläft. Oder der alte, krebskranke Mann, der sich mit einer tödlichen „Cocktail“-Kapsel versorgt hat: Seine Kinder und Enkel sind für einen Sommer mit ihm am Rand der Alpen zusammengekommen, zu einem letzten Sommer, wie nur er weiß. Er hat sich vorgenommen, keinem von der Krankheit zu erzählen und das Gift zu nehmen, sobald die Schmerzen unerträglich werden. Durch einen dummen Zufall kommt doch noch alles heraus. Fluchtartig reisen Kinder wie Enkel ab. Seine Frau fährt auch, verbittert, weil er ja in Kauf nahm, dass sich nach seinem Tod alle von Grund auf belogen fühlen müssen. Und sie offenbart, dass er schon seit Jahrzehnten nicht mehr wahrnimmt, wie es der Frau an seiner Seite wirklich geht.
Professoren, Juristen, Schriftsteller: Bernhard Schlink (66), dem schon mit seinen Krimis beliebte Bücher gelungen waren, bevor sein „Vorleser“ zum Bestseller wurde, bewegt sich auf vertrautem Terrain. Die Geschichten haben etwas von Fallkonstruktionen zwecks moralischer Problemstellung. Schlink versteht den Lügner nur zu gut und will ihm doch das böse Ende vor Augen führen. Mögen kann man ihn aber doch für eine feine Psychologie und einen geübten Blick fürs verräterische Detail. Und für solche seltsamen Zwischendinge wie das „Zutaten-Glück“, das jeder kennt, der sich seine glücklichen Lebensumstände vor Augen führen muss, um die Frage zu übertönen, ob das denn schon alles gewesen sein soll.
Glücklicherweise sind diese sieben Geschichten zu kurz, als dass Schlink sie mit allzu unerwarteten Wendungen überfrachten kann, die in seinen Romanen nur notdürftig verkleistern, dass es sich um lauter hintereinandergehängte Erzählungen handelt. Mit einem Band wie diesem ist Schlink zu seinem eigentlichen Metier zurückgekehrt.