Essen. Den Feuilletonisten Michael Wuliger nervt der krampfige Umgang mit Juden. Jetzt hat er eine Benimmfibel geschrieben - und liefert damit vor allem ein Plädoyer für die Unbefangenheit ab.

Es ist nicht weniger als ein Plädoyer für die Entkrampfung eines schwierigen Verhältnisses: Der Feuilletonist Michael Wuliger hat den „koscheren Knigge” geschrieben. Warum er nötig ist, sagte Wuliger Lars von der Gönna im Interview.

Sie wollen „trittsicher durch die deutsch-jüdischen Fettnäpfchen” führen. Dabei hat man doch den Eindruck, die Deutschen tun wirklich alles, um es richtig zu machen.

Michael Wuliger: Das ist ja das Schlimme!

Nervt Sie Philosemitismus?

Wuliger: Naja, Leute, die einen Juden lieben, nicht weil er ein netter Mensch ist, sondern weil er Jude ist, sind ein bisschen anstrengend, weil sie ein überpositives Bild von Juden im Kopf haben. Unter Einstein oder Nathan dem Weisen tun sie's nicht. Umso größer ist dann die Enttäuschung, wenn sie auf Herrn Blumberg treffen, den „Helden” meines Buchs, der in seiner Freizeit den „Kicker” liest und nicht Martin Buber. Dann hört man schon mal Sätze wie „Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt”. Und das ist nicht als Kompliment gemeint.

Der „gute Deutsche” ist professionell verlegen, wenn sein Gegenüber Jude ist. Helfen Sie ihm!

Michael Wuliger

„Thorarolle rückwärts”, „Im Bett mit Rebekka” oder „Darf man Jude sagen” heißen die Kapitel in Michael Wuligers Ratgeber „Der koschere Knigge” (Fischer, 107 Seiten, 7,95 €). Der Autor wurde 1951 in London geboren, geht nach eigenen Worten so gut wie nie in die Synagoge und liebt „Krusty den Clown” aus der TV-Serie „Die Simpsons”.

Wuliger lebt in Berlin und ist Feuilletonredakteur der „Jüdischen Allgemeinen”.

Wuliger: Die wenigsten Juden sind ausschließlich Juden. Sie sind auch Fans von Borussia Dortmund oder Schalke, sie fahren Auto, sie trinken Pils, sie spielen Skat, es gibt eine Unmenge an anderen Aspekten dieser Menschen, die für sie mindestens genauso wichtig sind. Wenn Sie einem jüdischen Gesprächspartner vorgestellt werden, ein Tipp: Reden Sie erst mal übers Wetter oder über die Finanzkrise. Das Judentum kann warten bis nach dem dritten Bier.

Charmante Verdrängung?

Wuliger: Was heißt Verdrängung? Er möge einfach mal ein bisschen entspannter sein. Böser Vergleich: Wenn ich auf einer Fete jemandem vorgestellt werde, der im Rollstuhl sitzt, frage ich auch nicht als erstes: „Ist das Multiple Sklerose oder hatten Sie einen Verkehrsunfall?” Auch Herr Blumberg interessiert sich noch für andere Dinge außer für Auschwitz und die Lage im Nahen Osten.

Sie sagen: Ich bin Jude, aber bitte keine Schubladen!

Wuliger: Ja, weil das oft ziemlich anstrengend ist, wenn Leute meinen, sie müssten mir „gefilten Fisch” vorsetzen, wo ich doch viel lieber Serrano-Schinken esse. Dito wenn man mir unbedingt, wenn ich zu Besuch komme, Giora Feidman vorspielt, der auf der Klarinette Klezmer spielt. Stellen Sie sich mal vor, Sie sagen zu jemandem „Ich komm' aus Herne” und der spielt ihnen als erstes seine Jürgen-von-Manger-Platte vor...

Sie essen Serrano? Was sagt der Rabbiner dazu?

Wuliger: Ich weiß, was die religiösen Instanzen dazu sagen. Deshalb frage ich erst gar nicht.

Sie treten der Gedächtniskultur ziemlich auf die Füße. Ihre Kunstfigur Blumberg fühlt sich in NS-Gedenkstätten wie ein ausgestopftes Tier. Hat Frau Knobloch Ihnen schon den Krieg erklärt?

Wuliger: Nein, ich werde Frau Knobloch bald bei einer Gala treffen wo ich als Teil des Unterhaltungsprogramms eingeladen bin. Bei mir hat sich noch niemand gemeldet und gesagt: Das darfst du aber nicht! Ich schreibe in der „Jüdischen Allgemeinen” ähnliche Sachen, da hat sich auch noch keiner beschwert – bis auf ein paar christliche Leser...

Sie werden nicht müde zu betonen, dass man von Juden keine zu politisch korrekten Äußerungen erwarten sollte.

Wuliger: Als die ersten jüdischen Russen hier ankamen und es in Gemeinden zu Problemen kam, hat der verstorbene Ignatz Bubis von „jüdischer Fremdenfeindlichkeit” gesprochen. Warum auch nicht? Es gibt ja auch Konflikte, wenn jemand Neues in die Kleingartenkolonie einzieht und statt Gartenzwergen beleuchtete Gänse aufstellt. Das ist ganz normal, es ist menschlich.

Herr Wuliger, wer hat am meisten für den christlich-jüdischen Dialog getan: Martin Buber, Woody Allen oder Michel Friedman?

Wuliger: Keiner von denen. Für mich ist das Hans Rosenthal. Da tauchte einer im Fernsehen auf, der nett war, unterhaltsam, ein Mensch wie Du und ich, zufällig war er auch Jude und hat eine Sendung gemacht, die gerne gesehen wurde. Und damit hat er ein Stück Normalität gelebt. Hugo Egon Balder ist übrigens auch jüdisch und ich glaube, die wenigsten seiner Zuschauer wissen das. Das ist auch gut so, weil es egal ist.