Der Papst war bemüht, seine Emotionen nicht offen zur Schau zu tragen. Besuch des Felsendoms

Erst liest er einen Friedenspsalm auf Latein. Dann geht Papst Benedikt festen Schrittes zur Klagemauer, der allerheiligsten Stätte der Juden. 15 Meter ist sie hoch, einziger Überrest des einstigen zerstörten Herodestempels, aus dem Jesus gemäß der Bibel die Kaufleute verjagt hatte. Heute beten und weinen Juden aus aller Welt an dieser Mauer. Manch einer harrt, den Kopf gegen die alten Steinquader gepresst, lange davor aus. Fast alle Betenden stecken einen Zettel, ein persönliches Gebet oder eine Bittschrift in die Mauerfugen.

Das tut, wie schon im Jahre 2000 Papst Johannes Paul II., auch Papst Benedikt an diesem Dienstag. Es ist ein recht großer, zusammengefalteter Zettel. Mit fester Hand legt er ihn in die Ritze, schiebt noch einmal nach, damit das Papier nicht wieder herausfällt. „Gott aller Zeiten, bei meinem Besuch in Jerusalem, der ,Stadt des Friedens', spirituelle Heimat für Juden, Christen und Moslems gleichermaßen, bringe ich vor Dich die Freuden, die Hoffnungen und Wünsche, die Bemühungen, das Leiden und den Schmerz all deiner Völker in der Welt”, beginnt das hinterlegte Friedensgebet auf Englisch.

Dann betet er lange schweigend, aufrecht vor der Mauer stehend. Der Papst wirkt zutiefst konzentriert. Aber keineswegs kühl-distanziert, ganz offenbar bemüht, seine Emotionen nicht offen zur Schau zu tragen.

„Kein Kniefall, keine spektakuläre Geste” - so mancher Zaungast zeigt sich leicht enttäuscht. Johannes Paul hatte bei demselben historischen Moment im Jahr 2000 einen anderen Eindruck hinterlassen. Damals litt der polnische Papst schon schwer an der Parkinsonschen Krankheit, hatte sich mühsam vor die Mauer geschleppt, mit zitternder Hand seinen Zettel in eine Fuge gesteckt. Und darauf hatte er um Vergebung gebeten für das Leid, das Christen Juden zugefügt haben.

Ein ähnlicher Text war eigentlich auch von Benedikt erwartet worden. Deutsche Vatikanvertreter hatten sogar gehofft, dass der Papst sein Gebet für die Klagemauer kurzfristig entsprechend abändern würde – nach der Kritik, die das Fehlen einer Vergebungsbitte in seiner Rede in Jad Vashem am Vortag ausgelöst hat. Vatikansprecher Lombardi wies die Kritik aber entschieden zurück: Bereits vor dem Besuch habe Benedikt XVI. die Shoah und den Antisemitismus mehrmals verurteilt. Und seine besondere Situation als Deutscher sei in Auschwitz Thema gewesen.

So ist Benedikt XVI. seinem Protokoll für den zweiten Tag in Jerusalem treu geblieben. Es steht im Zeichen des interreligiösen Dialogs, der Aussöhnung zwischen den drei großen Weltreligionen, die so zu Frieden und Gerechtigkeit beitragen können. Schon vor dem Gang zur Klagemauer hatte der Papst die Muslime mit einem Höflichkeitsbesuch bei Großmufti Mohammed Hussein von Jerusalem geehrt. Er besichtigte – diesmal zog er seine Schuhe aus – den muslimischen Felsendom. In dessen Mitte liegt der von muslimischen Pilgern verehrte „heilige Felsen”. Der Prophet Mohammed soll an ihm gebetet haben, bevor er der Überlieferung zufolge in den Himmel aufgefahren ist. Bei aller Verschiedenheit würden sich alle drei Weltreligionen zu Abraham als ihrem Urvater bekennen, erinnerte der Papst.

Tiefgründige Worte fand er auch beim Zusammentreffen mit den beiden Großrabbinern von Jerusalem. Dem eingeschlagenen Weg einer „aufrichtigen und dauerhaften” Versöhnung zwischen Christen und Juden sei die katholische Kirche „unumkehrbar verpflichtet”, sagte er.