Essen. Der klassische Wenderoman ist ein nie geschriebenes, aber heftig herbeigewünschtes Jahrhundertwerk. Wie Literatur die Mauer umschreibt zeigen werke unter anderem von Clemens Meyer und Uwe Tellkamp.
An der Tatsache, dass der große und sehnsüchtig herbeigewünschte Wenderoman nie geschrieben wurde, ändern die wunderbaren kleinen Würfe vergangener Jahre, etwa Thomas Brussigs „Wie es leuchtet” (2004) oder Clemens Meyers „Als wir träumten” (2006) ebenso wenig wie Uwe Tellkamps verzweigter Mammutbaum „Der Turm” (2008) – oder der aktuelle Roman „Freispiel”, den FAZ-Redakteur Andreas Platthaus über die Silvesternacht 1989 verfasste. Westdeutsche Studenten feiern in Berlin, treffen Norbert und Marlene aus Pankow – und erfahren zu spät, dass Norbert Funktionär ist: „Die Fronten sind aufgebrochen, und wir sind in einer Bonzenwohnung.” Die Konstellation hat Platthaus gut gewählt, seine Erzählstimme leider nicht: Eine liebesverwirrte Mittzwanzigerin ist nicht dazu angetan, Geschichte zu hauchen.
Dem vielleicht notwendigen Scheitern des Einzelnen hält Autorin Julia Franck einen Chor der Vielen entgegen: als Herausgeberin einer Anthologie, in denen Autoren aus Ost und West sich an Grenzerfahrungen erinnern. Wiederkehrende Motive: Teelichter in westdeutschen Fenstern, gen Osten gerichtet, Bahnhof und Grenzübergang Friedrichstraße. Und die Erkenntnis: „Hier regnet es ja genauso” – wie im Osten. Oder Westen. hei
- Julia Franck: Grenzübergänge. Fischer, 281 S. 19,95 €
- Andreas Platthaus: Freispiel. Rowohlt, 204 S., 17,90 €