Essen. „Ferne Länder, ferne Zeiten“ – in Plakaten erzählt eine Ausstellung in Essen von den Anfängen des Tourismus in Deutschland.
Es gibt hier kein schlechtes Wetter. Es gibt hier keine hässlichen Menschen. Es wachsen einem die Granatäpfel geradewegs in den Mund. Kurz: Es muss das Paradies sein. Oder Nizza. Oder Sevilla. Oder: Werbung! Wer wissen will, wie man Begehrlichkeiten weckt, sehr viel Geld auszugeben, um in fremden Betten zu schlafen, während im Tagesprogramm Krocket oder Kamele warten, dem sei eine Zeitreise ins Museum Folkwang empfohlen.
Plakate, Plakate, Plakate, die meisten aus der Zeit, als das Reisen im großen Stil Mode wurde, also spätes 19., frühes 20. Jahrhundert: Elegant und kunstvoll sind sie, selten verlegen um Superlative („angenehmster Aufenthalt der Schweiz“) und vor allem die pure Opulenz des Klischees. Wer buchet, der findet: Da ist die Spanien-Rundreise 1900, gesättigt mit Flamencokleid und Fächer, Kastagnette und Guitarra. Es raucht 1910 der ölbemantelte Seemann Pfeife, „Die belgischen Seebäder“ anzupreisen, und Kairo ist gleich Sphinx und Pyramide; Rom dagegen 1921 lauter Ziegen und Ruinen. Wo man aber vor allem nichts tun will, dies freilich bei zuverlässigem Sonnenschein, steigen die Plakate ins Reich von Wimmelbildern der Schönlebe auf und wir sehen aus der Vogelperspektive ameisengleich Kutschfahrt, Spaziergang, Tennis, Radeln, botanische Wandelhalle: Das ist Nizza 1901. Ein Phantasialand der Hautevolée.
Museum Folkwang zeigt bis 7. Juli „Ferne Länder, ferne Zeiten“, Plakate zu Urlaubszielen
Ja, das Geld! Wer keines hatte, dem blieb immerhin der Besuch des „Kaiserpanoramas“: Jene Wunderkabinette, bei denen man als Daheimgebliebener durch zwei Gucklöcher von Ägypten bis Peru die Welt per Stereo-Fotografie bestaunen konnte. Im Museum ist ein stolzer Nachbau zu sehen und zu nutzen! René Grohnert aber, der als Leiter des Deutschen Plakat Museums diese wunderbare, amüsante Kulturgeschichte über die Verheißung namens Ferien zusammengestellt hat, erinnert vor allem an eine Reise-Epoche, in der von „Minna auf Mallorca“ nie die Rede sein konnte. Erstens: Arbeiter kannten keinen Urlaub. Er stand ihnen nicht zu. Zweitens: Mit dem Orient-Express bis Istanbul, das konnte ein Jahresgehalt kosten (Souvenirs nicht eingerechnet!).
Da wundert es nicht, dass die hochformatigen Heilsversprechen von guter Luft und fantastischem Ausblick in dieser Zeit nie ins Horn der Schnäppchenjagd blasen. Last Minute war ohnehin keine Währung, da man schon nach Paris drei Tage brauchte. Wer Dampfer bestieg und Nobelzüge, hatte Zeit – und Geld. Wo die Plakate also Menschen zeigen, sind es (von exotischen Stereotypen abgesehen) allein die Schönen und Reichen. Das Paar (er mit Fliege, sie im roten Kleid), das 1920 von seiner Suite auf den See von St. Moritz blickt, ist so weit von Arbeit entfernt wie das touristische Engadin vom Elend, das zur gleichen Zeit im deutschen Berlin grassierte. Malerisch inszenierte Eduard Stiefel in Beiden den kultivierten Müßiggang – gar nicht so weit von August Macke übrigens.
Apropos: Diese Plakate (insgesamt hat diese Prachtschau samt Ansichtskarten fast 500 Exponate auf 840 Quadratmetern) sind größtenteils gemäldewürdig. Es ist eben auch die Zeit vor der professionellen Fotografie. Und wer Plakate malte, konnte souverän abrufen, was die Zeit verlangt. Man zitierte Art déco und nicht selten lockte ans Mittelmeer und ins Berner Oberland die ornamentale Üppigkeit des Jugendstils. Mitunter aber auch mutig reduziert: Da labt sich kopfüber eine Jugendstil-Nackte an der Quelle. Das und nichts sonst als jede Menge Grün empfiehlt 1908 den Aufenthalt in Badenweiler. Und ein Schelm, der in Burkhard Mangolds fünf Davoser Wintersportarten ein Echo Edvard Munchs erkennt. Aber wie angsterfüllt die hohlgesichtigen Beifahrer beim Schlittensport in der Kurve aufheulen, das klingt schon sehr nach „Schrei“.
„Ferne Länder, ferne Zeiten“ ist die Ausstellung getitelt. Sie ist voll von Zeitgeschichte. Der Lust am Luftwechsel folgt das Sportive der immer schneller werdenden Fortbewegung, da Zugnamen wie „Rheingold“ und „Pullmann“ schon Versprechungen sind und 1900 von Hamburg aus „das schnellste Schiff der Welt“ Kurs gen Amerika nimmt, „35.000 Pferdekräfte“ an Bord.
Daten zur Ausstellung
Ferne Länder, ferne Zeiten. Sehnsuchtsfläche Plakat. Bis 7. Juli 2024 im Museum Folkwang, Museumsplatz 1, Essen. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr, Donnerstag und Freitag 10-20 Uhr.
Der prachtvolle Katalog zur Schau ist in der Edition Folkwang/Steidl erschienen und kostet 38€.
Zur Ausstellung gibt es einen Audioguide mit eigens geschriebenen Texten von Felicitas Hoppe.
Weitere Infos, auch zu Führungen, gibt es im Besucherbüro, 0201-88-45444 und unter www.museum-folkwang.de/de
Dass es – bei Werbung nicht unüblich – viel Schrift gibt, hat das Museum Folkwang nicht von einer reizvollen verbalen Extratour abgehalten. Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe steuerte Text-Miniaturen von Chamonix bis Duisburg bei. Duisburg? Tatsächlich ist die Stadt in dieser Welt touristischer Lobpreisungen mit einem Plakat vertreten. Schon 1930 zeigte es mehr Schlote als Kirchtürme – aber doch auch die Aussicht, wie man ihnen entkommen kann. Der Plakattext hat nur vier Worte: „Duisburg. Tor zum Niederrhein“.