Krefeld. Das Kaiser-Wilhelm-Museum zeigt die Schausammlung, mit der Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus das Leben für alle schön machen wollte.
Wer Antiquitäten schätzt und gern über Flohmärkte bummelt, wird sich im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum derzeit prompt wohlfühlen. Zum Empfang grüßen Dutzende von Werbeplakaten von den hohen Wänden, machen Reklame für „Coelner“ Karneval mitten in Berlin, für die „Allgemeine Elektricitäts Gesellschaft“, „Kaiser Briketts“ oder ein „Neues Operettentheater“. Davor: ein elektrischer Wasserkocher, ein Ventilator, eine AEG-Metallfadenlampe.
Karl Ernst Osthaus gründete 1909 das „Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe“ in Hagen
Was heute die schönsten Nostalgie-Gefühle weckt, war am Anfang des 20. Jahrhunderts revolutionär neu: Ein modernes, klares Design, das die überladenen Retro-Stile der Gründerzeit ablösen sollte. Ein besseres Leben für alle durch schönere Gegenstände: Das war das Ideal von Karl Ernst Osthaus. Der millionenschwere Bankiers-Erbe hatte in Hagen ja nicht nur das Folkwang-Museum gegründet, sondern auch das „Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe“, das den an Gemälden und Skulpturen geschulten Schönheitssinn in den Alltag der Menschen bringen sollte.
Und während nach dem frühen Tod von Osthaus 1921 die Folkwang-Sammlung nach Essen verkauft wurde, gelangte die Design-Schausammlung ans Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum. Wo sie bis heute zu Hause ist. Aus ihr speist sich die Sonderausstellung „Die große Verführung“, die erzählt, wie man zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Macht neuen Schwung ins Leben bringen wollte.
„Made in Germany“ war ursprünglich ein Warnsignal. Ferdinand Avenarius gab „Zehn Gebote für die Wohnungseinrichtung aus
Ferdinand Avenarius etwa, Dichter und Gründer der Zeitschrift „Der Kunstwart“, gab „Zehn Gebote für die Wohnungseinrichtung“ aus, deren erstes lautete: „Richte dich zweckmäßig ein!“ Es folgen Regeln wie „Vermeide alle Imitation“, „Fürchte dich nicht vor Farbe“ oder „Lass überflüssige Zierätchen und Ornamentchen weg“, „Strebe nach Ruhe“ oder „Führe freie Kunst in dein Heim“. Und 20 Tapetenbahnenmuster daneben zeigen in Krefeld, was damit gemeint war – nicht von ungefähr wäre so manche davon ohne weiteres bis heute verwendbar.
Der Impuls für einen solchen Aufbruch war allerdings nicht nur vom Schönheitssinn getrieben: Ende des 19. Jahrhunderts war in England der Begriff „Made in Germany“ entstanden. Allerdings nicht als Qualitätssiegel, sondern als Warnung – vor den schlecht gemachten, minderwertigen Alltagsprodukten aus deutscher Herstellung. So hatte die hiesige Wirtschaft ein großes Interesse daran, neue Qualitäts-Standards in eine industrielle Produktion einzuführen und das mit neuem Design sichtbar zu machen. Das war mit der Werkbund-Bewegung und Namen wie Peter Behrens verbunden, der bei AEG alles Mögliche designte. Tee-Services und Vasen aus der Wiener Werkstätte zeigen in Krefeld allerdings auch, dass diese Reform-Bewegung weit verbreitet war.
Kaiser-Wilhelm-Museum bietet Mitmach-Stationen in der Ausstellung „Die große Verführung“
Dosen für Kaffee, Zigaretten und Nahrungsergänzungsmittel („Tropon“), Vasen und Gläser, aber auch Reklamezettel und Bücher: Die etwas papierlastige Ausstellung bietet zwischendurch kleine Verführungen an Mitmach-Stationen, die sehr erhellend sind. Man hätte sich vielleicht noch ein wenig mehr Anschauungsmaterial gewünscht wie die revolutionären Vasen und Teeservices von Josef Hoffmann. Und man hätte vielleicht nicht nur Werbezettel und Plakate mit der Devise „Kauft Typenmöbel!“ gesehen, sondern auch mehr von diesen Möbeln.
Im Kaiser-Wilhelm-Museum ist „Die große Verführung“ jedenfalls am denkbar passendsten Ort. Denn hier fanden frühzeitig Gestaltungs-Ausstellungen wie „Linie + Form“ statt – und Johann Thorn Prikkers Wandgemälde „Lebensalter“, das erst vor wenigen Jahren wieder freigelegt und restauriert wurde, wird zum organischen Bestandteil dieser Schau.