Dortmund. . In Dortmund gilt nun eine Schau dem Jugendstil. Die Basis lieferte die Pariser Weltausstellung 1900. Auch die Westfalenmetropole kaufte dort ein.

In Zeiten, da eine zentrale Farbe für Museen der Region das Karmesin kommunalpolitischer Rotstifte ist, kommt einem das Leben des Albert Baum nachgerade märchenhaft vor. Wir schreiben das Jahr 1900, Paris bittet zur Weltausstellung, und Baum, erster Direktor des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte, reist hin – zum Shopping.

Er ist kein Angeber, aber dass man in Westfalen gerade so eine verkleinerte Art des 1852 gegründeten „Victoria and Albert Museum“ aufbaut, das hat er, wie seine ebenfalls in Paris weilenden Kollegen aus Hamburg oder Leipzig, durchaus im Sinn. Dieser Baum konnte Anekdoten zufolge mit den frühen, als Mäzene attraktiven Revier-Baronen ebenso gut wie er dickköpfigste Bauern unter den Tisch trank, um ihnen aus dem daraus resultierenden Kater des Respekts das für seine Sammlung abzukaufen, was sie zuvor eigentlich für unveräußerlich gehalten hatten.

Die schönsten Blüten des Jugendstils

Dieser Baum also brachte aus Paris jenen Stamm nach Dortmund, der ab sofort die schönsten Blüten des Jugendstils ausstellungsreif macht.

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„Rausch der Schönheit“ nennen sie das – und dem gibt sich der Besucher dieser Schau gleich und gern hin. Einen kleinen Augenblick ist er sogar selbst der zeitreisende Chef von 1900: Die ersten Schritte stellen uns auf die – im Bau an Dortmunds Hansastraße raffiniert inszenierte – Prachtavenue zum Pariser Invalidendom. Und im Sextett gläserner Säulen ruhen hier Baums frisch getätigte Einkäufe aus der vegetativ wuchernden Trendkunst des „Art Nouveau“: Max Laeugers fast rustikale „Vase mit Weinblattdekor“, den auf unheimliche Weise aparten Nachtfalterpokal Émile Gallés oder jenen porzellanfeinen Zierteller, dessen Motiv „Wikingerschiff“ so wenig nach Jugendstil klingt – und seinen Geist doch trefflich erfasst mit den vor Vitalität die räuberische Flagge fast verlassenden Löwen und einem in Märchenstille schimmernden Wasserspiegel fernab der Klippen des Realismus.

Dortmunds Sammlung wuchs still und stetig

Jugendstil im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte: Walter Schotts „Kugelspielerin“.
Jugendstil im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte: Walter Schotts „Kugelspielerin“. © Matthias Graben

„Baum hatte ein gutes Händchen“, sagt Kuratorin Gabriele Koller – vielleicht gerade weil sein Budget nicht die Maße des Hamburger Kollegen aufwies, der pfeffersäckischerweise damals in Paris einen ganzen Ausstellungsraum aufkaufte. Dortmunds Jugendstilsammlung aber wuchs still und stetig. Das führt nicht nur dazu, dass 80 Prozent der stolzen 900 Ausstellungsstücke aus dem Bestand kommen. Es ermöglicht neben der üppigen Darstellung der aufs Schönste ins ästhetische Kraut schießenden Ranken und Blüten des Jugendstils auch, dem Reformgedanken dieser epochalen Kunst Raum zu geben.

So erzählen ausgestellte Ventilatoren (Peter Behrens, 1907) und Henry van de Veldes Reklame für Vitaminpräparate (1898), Häuserfronten (als Foto) und sogar ein ganzer Wohnraum („Salon für eine Dame“), wie ehrgeizig der Jugendstil in alle Lebenswelt hineinwucherte. „Alles, was zum Leben gehört, soll Schönheit empfangen“, schrieb Behrens programmatisch.

In Ramsch-Ruch geratene Kunst

Der florale Glaskelch entstand in der Wiener Manufaktur Lobmeyr
Der florale Glaskelch entstand in der Wiener Manufaktur Lobmeyr © Matthias Graben

Bei so hemmungsloser Hingabe lag Protest nah. Das Begriffspaar „Ornament und Verbrechen“ kam in die Welt. Bestechend bleibt umso mehr, wie lebenstüchtig diese angreifbare, nicht zuletzt durch Kitschsouvenirs der Sorte Klimt-Radiergummi durchaus in Ramsch-Ruch geratene Kunst sich zeigte. Und wie zeitlos: Würden uns jene einen tief rostroten Kessel stemmenden drahtigen Panther als Wurf eines japanischen In-Designers 2018 erklärt, wir glaubten es; Albin Müller schuf sie 1910.

Weinkelche und Porzellandamen

Mit ihrem Titel untertreibt diese Ausstellung nicht. Selbst Skeptiker werden sich in Dortmund der sinnlichen Schar hochgespannter Porzellandamen ergeben, so sie nicht zeitgleich anderer Sehnsüchte wegen einen trockenen Mund bekommen und Dutzende, ganz der sinnlichen Schönlebe dienende Trinkpokale an die Lippen führen wollen. Man hält den Atem an, sieht man die komplett handgestaltete Gläser-Garde, die qua Form den Wein wie eine Blüte umgeben. Wann war der Doppelsinn des Kelchs je so zum Greifen nah?