Essen. „In jedem steckt ein Pirat.“ Das Kostüm bei Cosplay oder Karneval verrät die Sehnsucht des Menschen und macht selbstsicher.

Ohne Kostüm auf einer Mottoparty? Da fühlt man sich so unwohl wie mit Badehose im Meeting. Doch die Menschen tragen in diesen tollen Tagen nicht nur die Clownsnase, weil das Brauch ist, weil es erwartet wird oder es schlicht Spaß macht, kreativ ein Kostüm zu kreieren. Die Menschen setzen sich die Krone auf, weil sie damit auch mal spielerisch eine andere Persönlichkeit sein können. „Mithilfe von Kostümen haben wir die Möglichkeit, Facetten zu erproben, die in unserem Alltag zu kurz kommen“, sagt Katja Mierke aus Bonn, Psychologieprofessorin an der Hochschule Fresenius. Während der Karnevalszeit sei es gesellschaftlich akzeptiert, aus der Reihe zu tanzen.

Der Pirat. Sehr beliebt, bei Kindern wie bei Erwachsenen. Das Kostüm steht für Freiheit und Abenteuer. Da nimmt man gerne ein Holzbein in Kauf.
Der Pirat. Sehr beliebt, bei Kindern wie bei Erwachsenen. Das Kostüm steht für Freiheit und Abenteuer. Da nimmt man gerne ein Holzbein in Kauf. © Koegelenberg/peopleimages.com - stock.adobe.com | Yuri Arcurs

Das Piraten-Kostüm ist dabei sehr beliebt – und das nicht erst seit der Film-Reihe „Fluch der Karibik“. Obwohl der Pirat bei genauerer Betrachtung alles andere als eine erstrebenswerte Person ist: Er meuchelt und raubt. Selbst die romantisch aufgeladene Piratenversion klingt nicht gänzlich verlockend. Oder wer findet es erstrebenswert, wegen Augenklappe, Hakenhand und Holzbein nur mit je einem Auge, einem Arm und einem Bein sein Leben zu fristen? Mal abgesehen von dem Papagei, der einem ständig ins Ohr zwickt.

Das Piratenkostüm steht für den Wunsch nach Freiheit

Und doch steht das Piratenkostüm für eine ungestillte Sehnsucht: „Es repräsentiert unsere anarchische, wilde, freiheitsliebende Seite – ganz nach dem Motto: Ich nehme mir, was mir gefällt. Eine solche Seite schlummert in vielen von uns, doch die Konventionen des Alltags erlauben es uns oft nicht, diese Eigenschaften auszuleben“, so die Psychologin Katja Mierke. „Allein durch das Tragen eines Piratenoutfits entstehen Gefühle, die wir mit dem Piratendasein assoziieren. Wir denken und bewegen uns dann auch anders als im Feenkleidchen.“

So kann ein Kostüm wie ein Schutzanzug wirken und den Träger oder die Trägerin mutig werden lassen. Ein Mann, der eher schüchtern ist, wird im König-Kostüm vielleicht das nötige Selbstvertrauen haben, eine Prinzessin anzusprechen. So ist es nicht allein dem Alkohol zuzuschreiben, dass die Narren enthemmt zusammen schunkeln. Zudem reduziert das Kostüm die Verantwortung. Geht der Kontaktversuch schief, kann der „König“ es immer noch auf das Kostüm schieben. „Wenn er dabei nicht ankommt oder sogar Missfallen hervorruft, kann er immer sagen: Das war jetzt nicht ich, sondern die Rolle, die ich gerade spiele, das war ja gar nicht ernst gemeint“, sagt der Psychologe Karl-Heinz Renner von der Universität der Bundeswehr München.

Weiberfastnacht: Frauen an die Macht

Menschen nutzen also die Chance, beim Karneval mal ein ganz anderes Wesen zu sein. Da verwandelt sich die vermeintlich graue Maus in einen brüllenden Löwen, die angepasste Büroangestellte in die mutige Heldin aus „Die Tribute von Panem“ mit Pfeil und Bogen. Und das sehr gerne an Weiberfastnacht. Da haben mal die Frauen das Sagen in einer immer noch mehrheitlich von Männern regierten Welt. Schnippschnapp, der Schlips ist ab. An anderen Tagen als den tollen käme frau mit solch einer Aktion nicht ungeschoren davon.

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Eine Frau im Meerjungfrauen-Kostüm möchte sich schön-schwerelos fühlen? Ein Mann im Pilotenkostüm sehnt sich nach der Ferne? Stets vom Kostüm auf das Innenleben zu schließen, wäre dann doch zu gewagt. Vielleicht hatte der Nachbar noch eine Pippi-Langstrumpf-Perücke im Keller, die glücklicherweise passt. Dann steht hinter der Wahl des Kostüms schlicht ein praktischer Gedanke und nicht der Wunsch: „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.“

Mit Schminke zum neuen Gesicht. Kinder erproben so einen neuen Charakter. Aber man sollte die Kleinen niemals in ein Kostüm zwingen.
Mit Schminke zum neuen Gesicht. Kinder erproben so einen neuen Charakter. Aber man sollte die Kleinen niemals in ein Kostüm zwingen. © Victor - stock.adobe.com | Adobe Stock

Das Vergnügen, mal jemand ganz anderes zu sein, gilt natürlich nicht nur für die Narrenzeit oder Halloween. Schon Kinder lieben Verkleidungskisten und Rollenspiele. Sie wollen sich ausprobieren, einmal so stark sein wie ein Ninja-Kämpfer, oder so schön wie die Eiskönigin Elsa. Die Eltern möchten stattdessen weniger stereotype Geschlechterrollen und ihre Tochter lieber in der Kostümierung einer klugen Ärztin sehen? Experten raten davon ab, das Kind in ein Kostüm zu zwingen. Lässt man es jedoch in eine von ihm gewünschte andere Haut schlüpfen, lernt es auch Empathie fürs Leben: Wie es sich anfühlt, ein anderer Mensch zu sein, mit seinen Stärken und Schwächen.

Cosplay: Erwachsene verwandeln sich in Superhelden

Auch Erwachsene tauchen nicht nur gedanklich im Buch und am Bildschirm, in Comics und in Computerspielen in die Welt der Superheldinnen und Bösewichte ein. Es gibt Wettbewerbe, bei denen Frauen und Männer viel Zeit und Geld in Kostüme investieren, um einmal dem Original in einem Manga oder einem Zeichentrickfilm (Anime) detailgetreu nahe zu sein. „Cosplay“ (Kostümspiel) heißt diese Lust am Verkleiden, die ihren Ursprung in Japan hat. Einer der Wettbewerbe findet zum Beispiel auf der DoKomi in Düsseldorf statt, der größten Anime- und Manga-Convention Deutschlands (28. - 30. Juni 2024).

Cosplayerin Luna, die eine Figur aus „my liddle Pony“ darstellt, im Rahmen des Japan Tages in Düsseldorf (Foto vom 20. Mai 2017).
Cosplayerin Luna, die eine Figur aus „my liddle Pony“ darstellt, im Rahmen des Japan Tages in Düsseldorf (Foto vom 20. Mai 2017). © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Cosplay ist aber nicht auf die japanische Kultur beschränkt. So fiebern Fans auf der ganzen Welt mit Laserschwertern der „Star Wars Celebration“ entgegen, dem weltgrößten Fan-Treffen der Science-Fiction-Filmreihe „Star Wars“. Auch dort können die Menschen beliebte Charaktere imitieren und sich dadurch stark und unbesiegbar fühlen. Das nächste Mal 2025 in Japan. In Essen wurden bereits vor rund zehn Jahren in der Messe bei der damaligen „Star Wars Celebration“ Prinzessin Leia und Luke Skywalker gesichtet.

Das Rollenspiel: Im Alltag spielen wir gleich mehrere Rollen

Alles Spinner? Wer diese Menschen vorschnell belächelt, sollte darüber nachdenken, in wie viele Rollen und Verkleidungen er täglich selbst schlüpft, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Der grölende Fußballfan ist am nächsten Morgen ein fürsorglicher Papa, bevor er einen Anzug anzieht und die nächste Rolle seines Lebens spielt. Auch er bewegt sich anders, denkt anders, wenn er ein Trikot trägt, ein T-Shirt oder ein Hemd. So zeigt die Body-Feedback-Forschung in der Psychologie, dass ein Blazer eine seriösere Haltung bei einem Träger oder einer Trägerin hervorruft – verbunden mit Gefühlen von Kompetenz und Macht.

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