Köln/Düsseldorf. Sexuelle Übergriffe, Alkohol, Diebstahl: Sicherheitskräfte bereit für die Großlage. Warum sie in Sachen Terror besonders wachsam sind.
Ein normaler Jeck darf keine Waffe tragen, die einigermaßen echt aussieht. Aber zu Jahresbeginn wurden auch die Garden entwaffnet: Beim Gottesdienst der Karnevalisten im Kölner Dom waren Säbel verboten, dabei gehören die eigentlich zur Uniform. Eine Folge der Terrorwarnungen kurz vor Weihnachten, als mehrere Männer festgenommen wurden, weil sie Anschläge auf die Kirche geplant haben sollen. Für den in dieser Woche beginnenden Straßenkarneval aber, sagt Martin Lotz, liegen wenige Wochen später „keine sicherheitsrelevanten Hinweise vor“. Die abstrakte Gefahrenlage in Deutschland, so der Direktionsleiter Gefahrenabwehr bei der Kölner Polizei, sei bekannt, wenn auch: „Man kann niemals etwas völlig ausschließen.“
Das sieht auch Herbert Reul so: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagte der NRW-Innenminister (CDU) dieser Zeitung. „Die abstrakt hohe Gefahr kann jederzeit konkret werden.“ Eine der größten Gefahren gehe dabei „von selbst radikalisierten, allein handelnden Tätern aus“. Die Sicherheitsbehörden aber seien „wachsam und arbeiten eng zusammen“, um die Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Karneval in Köln: Polizei schützt die Synagoge im „Kwartier Latäng“
Besondere Sicherheitsmaßnahmen, sagt Lotz, seien in Köln indes nicht (mehr) nötig. Bis auf eine: Die Synagoge der Domstadt im „Kwartier Latäng“, wo Zehntausende an den Tollen Tagen zum Feiern erwartet werden, wird erneut mit einem Zaun geschützt und abgesperrt. „Darauf liegt ein besonderes Augenmerk“, sagt Lotz. Insgesamt werde die Kölner Polizei zum Höhepunkt der Session „in der Spitze“ mit 1.500 Kräften im Einsatz sein, Düsseldorf spricht etwas defensiver von „mehreren Hundertschaften“, maximal aber auch einer vierstelligen Zahl. Hinzu kommen in beiden Städten Hunderte Ordnungskräfte und private Sicherheitsleute, zudem zusätzliche Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten – in der Landeshauptstadt so viele wie noch nie. Düsseldorf setzt zudem erstmals auf Videoüberwachung.
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Die haben im Straßenkarneval allerdings eher mit jenen zu kämpfen, für die die Tollen Tage vor allem „volle Tage“ sind. Schon 2023, als die Jecken nach der Pandemie den Karneval wiederentdeckten, wurde selten der gute Rat eines Kölner Polizeisprechers erhört: „Nur so viel trinken, wie Gemüt, Kopf und Beine vertragen!“ Immerhin sind Verletzungen durch Splitter zurückgegangen, seit Städte konsequent auf ein Glasverbot in den Innenstädten setzen.
Aber feiern sollen die Leute, das sagt sogar der Innenminister: „Gerade in Zeiten, die uns manchmal den Humor rauben, kann der Karneval wohltuende Medizin sein.“ Also, „verkleiden Sie sich, feiern Sie fröhlich, aber achten Sie auf sich, Ihren Nebenmann und Ihre Nebenfrau!“ Denn auch Herbert Reul weiß: „Kostüm und Hochprozentiges gehören zur fünften Jahreszeit wie Rücksicht und Umsicht.“
Karnevalsauftakt im November: allein in Köln fast 100 Strafanzeigen
Dabei erwartet zumindest Köln in dieser Woche weniger Feiernde als zum Karnevalsauftakt am 11. November. Der fiel auf einen Samstag, weshalb die Jecken auch aus dem Umland in die Karnevalshochburg kamen. Damals wurde der Hauptbahnhof wegen Überfüllung gesperrt, Rettungskräfte kümmerten sich um Hunderte Alkoholisierte. Die Polizei zählte schon am Abend mehr als 60 Platzverweise, 26 Personen in der Ausnüchterungszelle, an die 200 Wildpinkler, Verstöße gegen das Glasverbot – aber auch fast 100 Strafanzeigen: wegen Taschendiebstahls, Körperverletzungen und Sexualstraftaten.
Gegen letztere wendet sich die Polizei in diesem Jahr mit der Kampagne „It‘s a dress, not a yes!“, grob zu übersetzen mit „Es ist bloß die (Ver-)Kleidung, kein Ja“. Instagram-Videos sollen darauf aufmerksam machen, „was eigentlich selbstverständlich sein sollte“: Kleidung oder ausgelassenes Feiern dürften nicht als Einladung für sexuelle Übergriffe missverstanden werden. Oder, wie Minister Reul sagt, ein Kleid sei kein „Ja“ und „das Bier in der Hand keine Einladung zur enthemmten Narrenfreiheit“. Denn „blöde Sprüche, Grapschen, doofe Anmachen“, weiß Kriminalhauptkommissarin Claudia Sobotta, hätten viele junge Mädchen und Frauen schon erlebt: „Belästigungen und Übergriffe sind leider keine Seltenheit. Alkoholkonsum, Feierlaune und räumliche Enge werden häufig ausgenutzt.“
Sexualdelikte: Im Februar konzentrieren sich die Taten auf die Tollen Tage
Zwar blieben bei den Sexualdelikten übers Jahr die Zahlen in etwa gleich. Auffällig sei aber, so Sobotta, dass in den Karnevalsmonaten, „ein großer Anteil der angezeigten Taten auf die wenigen Tage der Feierlichkeiten entfällt“. So wurden vor zwei Jahren 43 von 52 Sexualdelikten im Februar an den Karnevalstagen angezeigt, 2023 waren es 61 von 69 – damals hatte der Straßenkarneval nach der Corona-Pause erstmals wieder gefeiert werden können.
An der Polizei-Kampagne beteiligen sich neben Tanzgruppen aus dem rheinischen Karneval auch die Cheerleader des 1. FC Köln. Ihr Verein spielt zwar am Karnevalssonntag auswärts, zwei Tage nach Aschermittwoch aber muss die Polizei auch im Stadion wieder ran: Nach dem Karneval ist vor dem Fußball und ist auch vor der Fußball-EM! Die Tollen Tage, ahnt der Vorsitzende der Gewerkschaft GdP, Michael Mertens, seien „mal wieder ein Einsatz, bei dem Überstunden gefordert sind“. Dabei seien die letzten noch lange nicht abgebaut, zudem stehe das Ende der Session 2024 „unter dem Eindruck der Terrorlage“ zu Weihnachten und der verschärften Sicherheitslage zu Silvester. Gerade der Karneval sei „mit viel Einsatz“ verbunden.
Was wohl im doppelten Sinne stimmt. Und auch, wenn die Sicherheitskräfte „sehr wachsam“ seien zwischen Weiberfastnacht und Rosenmontag: „Karneval“, sagt Mertens, „kann die Polizei.“ Die Narren müssen nur mitmachen, appelliert auch Innenminister Reul. „Jeder Jeck trägt selbst dazu bei, dass der Karneval friedlich bleibt.“