Essen. Hübsch erzählt, aber anders bebildert: Christopher Dolls neuer Film handelt von einer wahren Aussteigergeschichte. Im falschen Format.
Wolf und Vera leben mit ihren Kindern im hippen Berlin. Er ist als Umweltexperte viel unterwegs, sie reibt sich auf zwischen Haushalt, Job und Familie. Als bei der fünfjährigen Nina eine Entwicklungsstörung festgestellt wird, gerät das Lebensmodell in Schieflage. Die Kleine wünscht sich mehr Aufmerksamkeit – eine Million Minuten für schöne gemeinsame Dinge. Der Beginn einer wirklich passierten Aussteigergeschichte, die der deutsche Filmemacher Christopher Doll jetzt prominent besetzt in die Kinos bringt.
Eine Million Minuten sind 694 Tage. Also eine lange Zeit – vermutlich können die wenigsten zwei Jahre Urlaub machen. Im Fall der Familie Küper hat es aber funktioniert, Wolf Küper hat davon in seinem Buch „Eine Million Minuten“ (2018) erzählt. Untertitel: „Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden.“
Mit dem Finger auf dem Globus wählt Nina (Pola Friedrichs) Thailand und Island aus. Aber kaum hat sich Wolf mit seiner Chefin (Anneke Kim Sarnau) auf einen Remote-Job geeinigt, beginnen die Probleme. Kein Handyempfang. Nächtliche Konferenzen wegen der Zeitverschiebung. Und mitten im wichtigen Meeting macht das WLAN auf der Insel Krabi schlapp. Wolf muss kündigen, aber als Hausmann wird er nicht glücklich.
„Eine Million Minuten“ handelt auch von Work-Life-Balance und Rollenmustern
Es spricht für Christopher Doll, dass er sich nicht im Kitsch verfängt, sondern moderne Themen wie Work-Life-Balance, alternative Job-Modelle und Rollenmuster in der Familie anpackt. Schade nur, dass sein Regie-Debüt dabei so wenig attraktiv daherkommt: Urlaubsmäßige Impressionen vom Strand und den Bergen, dazu ein paar lässige Popsongs, das ist alles. Auch wenn Ninas Geschichte hübsch erzählt ist – sie wäre von ihrer Machart auch gut im Fernsehen aufgehoben.
Dafür geben Karoline Herfurth (als Vera) und Tom Schilling (Wolf) ein glaubwürdiges heutiges Paar ab. Beide gehetzt, beide bemüht. Ständig gibt es Streit. Herfurth spielt mit tiefen Sorgenfalten, die sich im Laufe der Reise sichtbar glätten. Im Gegensatz zu Wolf findet sie in der Fremde schnell Anschluss und kümmert sich in Island um die Renovierung alter Häuser. Bald überrascht sie ihren Mann mit der Idee, Deutschland für immer den Rücken zu kehren. Ein Vorschlag, der auf wenig Gegenliebe stößt. Und das nicht nur wegen des netten Naturburschens Einar (Ex-Fußballer Rúrik Gíslason).
„Eine Million Minuten“ lädt auf charmante Weise ein, darüber nachzudenken, was im Leben wirklich zählt. Diese Hürde nehmen Doll und sein Ensemble locker. Und so bleibt unterm Strich eine Selbstfindungsgeschichte, die schon mit dem Ticken einer Uhr beginnt. Die Zeit läuft, man sollte sie nutzen. Das ist zwar nicht neu, aber wahr.