Essen. Dietmar Bär nutzt treu seine BVB-Dauerkarte und steht zu seinen Wurzeln. Ein Gespräch über das Ruhrgebiet, das Lesen und den Kölner „Tatort“.

Dietmar Bär, 1961 in Dortmund geboren, lässt sich nicht festlegen auf seine Paraderolle als Kommissar Freddy Schenk im Kölner „Tatort“. Er übernahm Rollen im Bochumer Schauspielhaus und am Schauspiel Frankfurt – und er ist im Laufe der Jahre zu einem überaus bewährten Hörbuch-Sprecher geworden. Dietmar Bär hat gerade seinen Zweitwohnsitz in Berlin aufgegeben und wohnt in Köln, nutzt aber nach wie vor seine Dauerkarte beim Dortmunder Ballsportverein. Jens Dirksen sprach mit ihm übers Revier, das Lesen und den „Tatort“.

Herr Bär, Sie stammen hierher: Droht das Revier zum Klischee zu werden?

Das Klischee, dass bei uns die Briketts durch die Luft fliegen, musste ich auch noch aushalten, als ich ‘85 in Tübingen am Theater angefangen habe. Man muss sehen, dass man sich am Klischee abarbeitet, wenn man aus dem Klischee kommt. Außerdem haben wir als Ruhrgebietler die Nase auch ein Stück weit vorn mit unserer direkten Art. Im Theater wird ja oft um 18 Ecken gedacht, und ich freue mich immer, mit Leuten aus dem Revier zusammenzuarbeiten – es hat doch etwas sehr befreiendes, wenn jemand sagt: „Hömma, sachs doch einfach mal gradeaus! Spiel’s einfach!“ In meiner Kindheit habe ich es geliebt, Jürgen von Manger nachzumachen. Der hat ja das Ruhrgebietsdeutsch ins Fernsehen getragen.

Von Berlinern und aus anderen Gegenden des Landes bekommen wir manchmal den Rat, uns endlich von unserer Vergangenheit zu verabschieden…

Tja, in Berlin wurde eben keine Kohle gehoben, soweit ich mich erinnere. Um das identitätsstiftende daran zu begreifen, muss man vielleicht mal unter Tage gewesen sein, mir ist es dem Himmel sei Dank noch einmal geglückt. Was alles von da unten gekommen ist und was das gemacht hat mit Berlin und anderen Gegenden. Dass man von hier aus das ganze Land vorangebracht hat und stolz darauf sein konnte. Daraus hat sich, glaube ich, auch ein gewisser Wortwitz und eine Weltanschauung entwickelt.

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Apropos, was lesen Sie eigentlich, wenn sie nicht Drehbücher lesen?

Och, ich liebe Lyrik und Gedichte genauso zu lesen wie gut gemachte Kriminalromane, so etwas wie „Slow Horses“ von Mick Herron. Ich lese allerdings bis heute querbeet, genau wie ich das als Kind schon getan habe, so mit sechs, sieben, acht Jahren, wo man einmal die Woche in die städtische Bücherei rannte und mit Stapeln voller Bücher unterm Kinn zurückkam. Ich war wirklich eine Leseratte. Und hab auch Bücher gelesen, für die ich eigentlich noch zu jung war. Sowas wie „Moby Dick“ oder „Der Graf von Monte Christo“. Außerdem habe ich durch meine Umzugskisten wieder Bücher in der Hand gehabt, bei denen ich dachte: Ach, das müsste man eigentlich noch mal neu lesen. Manchmal entdecke ich auch noch Sachen, wie „Nachsommer“ von Adalbert Stifter, was sicher in den Kanon eines jeden Literaturstudenten gehört, aber ich fand das ganz spannend.

Sie scheinen alles lesen zu wollen…

Leider wird einem dann irgendwann klar, dass man nicht alle Bücher lesen kann, also muss man sich die gut aussuchen.

Und sie lesen ja auch Bücher als Hörbücher ein…

… jaaa, haben Sie was von „Gentleman über Bord“ gehört, von dem Amerikaner Herbert Clyde Lewis? Ein Buch, das nach fast einem Jahrhundert durch die erste Übersetzung ins Deutsche aus den Tiefen des Ozeans wieder hervorgeholt wurde, im Mare Verlag veröffentlicht, großartig!

Wenn Sie so ein Hörbuch einlesen – reicht es, wenn Sie das einmal durchlesen und dann ins Studio gehen? Da kann man ja zum Glück auch bei der Aufnahme zwischendurch sagen: „Halt, stopp, jetzt hab ich mich vertan!“

Dietmar Bär
Dietmar Bär © Getty | Tristar Media

Ich lese so ein Buch einmal, genau wie Sie das tun würden. Aber dann muss ich mich vorbereiten, was einzelne Stellen angeht. Besonders bei übersetzter Literatur, ich hatte drei Krimi-Folgen einer Dänin einzulesen und musste feststellen, dass die dänische Sprache sehr heimtückisch ist, weil es nicht so gesprochen wird, wie es da steht. Aber wenn man dann versucht, es richtig auszusprechen, kann man den Eindruck gewinnen, dass der Schauspieler beim Einlesen einen Schlaganfall erlitten hat. Weil man etwas undeutlich spricht an manchen Stellen – aber das wäre der dänische Originalklang, und da muss man immer so einen Weg finden, bei Eigennamen oder Straßennamen. Gut, kein Mensch würde sagen „Wir sind im Urlaub nach Pari gefahren“, aber man sollte versuchen, die Dinge sauber auszusprechen. Wir wissen ja alle von Ikea, die kleinen Fleischbällchen heißen nicht „Köttbullar“, sondern „Chöttbullar“.

Neben der Aussprache, worauf achten Sie noch?

Ich gucke mir die Figuren genauer an, wenn man sich die plastisch vorstellt, entsteht bei mir automatisch eine Idee, wie er oder sie sich anhören könnte. Ich versuche dann, eine kleine, gute Färbung reinzubringen. Mir ist mal aufgefallen: Keine Schriftstellerin, kein Schriftsteller der Welt schreibt die Bücher als Hörbücher! Wir sitzen alle zu Hause und lesen still. In dem Moment, wo man eine Lesung daraus macht, transportiert man das ja in einen anderen Aggregatzustand.

Und dann läuft es im Tonstudio?

Tonmeister oder Regisseurinnen sagen mir öfters, dass ich wohl ziemlich schnell und ziemlich professionell bin. Manche Kolleginnen und Kollegen sollen auch dasitzen und über dreisilbige Wörter brüten. Das kenne ich schon aus dem Theater: Wenn man eine Leseprobe macht, da gibt es Leute, die können wirklich nicht laut lesen, aber die werden ihnen in sechs Wochen eine wunderbare Rolle auf die Bühne stellen. Das weiß ich. Aber die werden dann keine Hörbücher einlesen, das weiß ich dann auch.

Sind Sie manchmal in der Versuchung, Bücher an bestimmten Stellen zu verbessern?

Bitte?

Verbessern Sie manchmal Texte?

Um Gottes Christi Willen: Nein! Ich würde mich doch niemals einmischen! Ich sitze mit der Regisseurin Karin Lorenz allerdings manchmal ratlos über gekürzten Fassungen. Aber man ist ja doch verpflichtet, das dokumentarisch genau zu machen.

Hören Sie eigentlich selber Hörbücher?

Sehr gerne! Beim Autofahren, vorm Einschlafen oder an sonstigen Stellen, wo man Zeit hat. Vor allem mit großen Meistern und Meisterinnen unseres Fachs.

Wer sind das denn für Sie?

Nein, das werd ich Ihnen doch nicht sagen!

Oooch!?

Na gut, die tot sind, kann man erwähnen. Zum Beispiel Hans Paetsch, für mich immer noch „die Stimme“. Da muss man eigentlich aufstehen, wenn der spricht. Der hat alles gemacht mit einer sehr charakteristischen Stimme, gute Märchenplatten und Edgar Wallace, den Sheriff in „Bonanza“ und einen wundervollen „Don Quichotte“. Das war einer aus der Gert-Westphal-Liga, ganz hohe Schule. Der große alte Rolf Boysen hat auch noch Kleist eingelesen, da kriegen Sie dann mit: Da spricht jemand, der hat viele, viele Tausend Theatervorstellungen hinter sich.

Seit 26 Jahren am „Tatort“ in Köln: Klaus J. Behrendt (links) und Dietmar Bär. Er würde am liebsten täglich eine Kerze dafür anzünden, dass dieser „Tatort“ immer noch so gefragt ist.
Seit 26 Jahren am „Tatort“ in Köln: Klaus J. Behrendt (links) und Dietmar Bär. Er würde am liebsten täglich eine Kerze dafür anzünden, dass dieser „Tatort“ immer noch so gefragt ist. © WDR/Kerstin Stelter

Lassen Sie uns noch kurz über den „Tatort“ reden: Sie haben mal gesagt, wenn man da anfängt, ist das ein Berufswechsel, man ist dann nicht mehr Schauspieler, sondern „Tatort-Kommissar“. Ihre Kollegin Anna Schudt, mit der Sie bei der Lit.Ruhr Revier-Texte lesen, ist wieder zur Schauspielerei zurückgewechselt – wie sieht es bei Ihnen aus?

Ach ja, das ist wie ein schweres, nasses Wolltuch, da muss man sich ein bisschen befreien. Das ist mir ja schon das eine oder andere mal passiert. Wenn man einen Theater-Hintergrund hat, und das haben ja immer noch die meisten von uns, kann sich auf der Bühne tummeln, mit Theaterrollen. Oder man liest Hörbücher ein. Und manchmal ist man angewiesen auf die Phantasie von Leuten, die Drehbücher schreiben oder in Fernsehredaktionen sitzen.

Also keine Spur von Dienstmüdigkeit bei Ihnen?

Man kann nur froh sein, dass der Kölner „Tatort“ nach 26 Jahren tollerweise immer noch eine solche Aufmerksamkeit bekommt, da kann man jeden Tag eine Kerze anzünden. Manche haben ja Angst davor, in Schubladen zu landen, ich zitiere da immer gern meinen Freund Armin Rohde, der zu sagen pflegt: Erst mal reinkommen in die Schublade – und dann…! Und manchmal führt einen ja auch die Tatort-Rolle auf andere Felder, ich habe gerade eine „Groß gegen Klein“-Aufzeichnung absolviert, da sitze ich natürlich als Kommissar im Quiz.

*******************************Lesung bei der Lit.Ruhr auf Zollverein ist ausverkauft

Dietmar Bär liest am Samstag, 21. Oktober, ab 18 Uhr gemeinsam mit seiner (Ex-)Kollegin Anna Schudt und Thomas Böhm bei der Lit.Ruhr „Wie Klümpkes vonne Bude“ mit Texten über „besondere Kleinigkeiten“ des Reviers. Die Lesung auf der Zeche Zollverein ist allerdings bereits ausverkauft.