Bochum. .

Die Garderobe Nr. 6 ist ein Heiligtum im Bochumer Schauspielhaus. Es ist die des legendären Bernhard Minetti. Von hier aus ist der Grandseigneur der deutschen Bühne hochbetagt zu Auftritten wie in Thomas Bernhards „Der Schein trügt“ mehr getragen als gebracht worden. Als er das damals sah, dachte sich der junge Schauspielschüler Dietmar Bär: „Das ist ein Beruf, in dem man sehr, sehr alt werden kann . . .“ Bär erzählt das heute mit gelassenem Lächeln, in dem ein Hauch von Stolz wohnt. In der Nr. 6 ist heute er zu Hause. Nur fotografieren lassen mag er sich hier nicht: „Die Garderobe ist mir heilig, das ist so etwas wie mein Schlafzimmer!“

Und die labyrinthische Hinterbühne des Bochumer Theaters? Ist sein Treppenhaus. Rubbeldikatz führt er einen durch Winkel und Gänge ins Foyer, „Ich liebe dieses Haus seit 35 Jahren“, sagt Dietmar Bär dort, jetzt mit Stolz pur. Und stutzt: „Warte mal, 1982, das sind jetzt . . . – nee, seit 34 Jahren!“ Da hat er auf der Schauspielschule angefangen. Beim regieführenden Provokateur Dietrich Hilsdorf am Dortmunder Theater hatte er gemerkt, was er kann, wofür er brennt. Der Notfallplan war: Germanistik. „Aber da musste man ja noch mehr selbstständig arbeiten! Das hätte mit mir nie geklappt!“

Derzeit steht Bär in Bochum mit zwei Stücken auf dem Spielplan. Er poltert den Dorfrichter Adam im „Zerbrochnen Krug“ auf die Bühne und legt als Ehemann in dem Trauerstück „Gift“ eine wundgescheuerte Seele bloß. „Es ist schön, brutto vier Monate wieder Teil des Ruhrgebiets zu sein,“ sagt der Metzgerssohn, der in Dortmund zur Welt kam und heute wechselweise in Berlin und Köln wohnt.

„Das Tingeln ist mir ja zum Glück erspart geblieben“ – von der Westfälischen Schauspielschule („eine sehr egozentrische Zeit“) ging’s ans Landestheater Tübingen, von da ans Theater Wuppertal, wo der Dauerbesitzer einer BvB-Dauerkarte samstags 20 nach fünf aus dem Stadion gehetzt ist und im Stau ins Schwitzen kam, weil er ja für die Abendvorstellung rechtzeitig in der Garderobe sitzen musste. „Ich versuche bis heute, mir die Vorstellungen so zu legen, dass ich was von meiner Dauerkarte habe“, schmunzelt Bär, „aber neulich ge­gen Porto musste ich passen. Schade!“ Und schimpft noch über Bayerns „Robbenvogel“ und dessen neulich in Bochum wieder akut gewordene Strafraumfallsucht . . .

Das klingt nach Freddy Schenk, jenem Kommissar, den Bär seit 1997 im „Tatort“ spielt. So überzeugend, dass er – „dauernd!“ – auf der Straße mit „Freddy“ angesprochen wird. Im Supermarkt rufen die Leute „Ich war’s nicht!“ oder „Hände hoch!“ Nervt ihn das? „Ach was, das zeigt doch nur, wie nah die Leute dran sind an der Figur.“ Und er weiß: „Wer beim ,Tatort’ einsteigt, hat einen neuen Beruf. Keiner sagt mehr Schauspieler, alle sagen Tatort-Kommissar.“

Der „Tatort“ ist Bärs „goldener Arbeitsplatz“, alles andere, was er macht, kann er sich aussuchen, „ich bin äußerst privilegiert“. Er verdient gutes Geld. „Aber wenn ich nicht arbeiten kann, verdiene ich gar nichts!“ Der Druck, den Schauspieler haben, immer wieder neue Engagements an Land zu ziehen, ist für ihn sanfter. Aber er spürt ihn doch, „365 Tage im Jahr, das geht allen freien Schauspielern so.“

Er, dessen erstem großen Fernsehauftritt als MSV-Fan im Schimanski-„Tatort“ so viele weitere folgten, hat 2007 bei den Domfestspielen in Bad Gandersheim nach 13 Jahren Film zum ersten Mal wieder auf der Bühne gestanden. Mit Bammel, versteht sich. „Aber da hab’ ich gemerkt: Das ist wirklich wie Fahrradfahren oder Schwimmen, das verlernst Du nicht!“

Gelernt hat Dietmar Bär mit Mitte 50 auch, den Genießer in sich zu pflegen. Und teilt Goethes Devise, wonach das Leben zu kurz ist, um schlechten Wein zu trinken. „Aber das geht auch un­ter zehn Euro die Flasche, muss ja nicht gleich 50 kosten!“ Statt der „bösen Würste“, die er sich früher oft so zwischendurch im Stadion oder sonstwo einverleibt hat, isst er jetzt kaum noch Schwein und öfter mal vegetarisch, wie seine Frau Maren Geißler. „Gestern hab’ ich vegane Leberwurst gemacht“, lacht er, „damit könnte man den einen oder anderen so super reinlegen, das ist der Hammer!“ Das Rezept? „Kidneybohnen, Räuchertofu, gedünstete Zwiebel, 2 Teelöffel Majoran, Rauchsalz nach Belieben – grob pürieren, schon fertig.“

Vom Moor bis zum Transvestiten

„Sie sind doch auch auf der Suche“, hat der Schauspielschul-Chef Otto Wilhelm damals Mitte der 80er-Jahre zu Bär gesagt. Schauspieler ist einer der wenigen Berufe, in denen man auf der Suche bleiben kann. Dass man jeden Abend vor sich selber weglaufe, sagt Dietmar Bär, werde von Schauspielern gern so mitgenommen. „Aber man ist ja in Wirklichkeit nicht jeden Abend ein anderer. Du hast zehn Möglichkeiten, die Treppe raufzukommen, 50 Möglichkeiten zu lachen und so weiter – und dann musst du dir das zusammenbasteln, aber das bleibst ja immer du.“

Schauspielen, auch das hat Otto Wilhelm bei seinem Schüler bleibend hinterlassen, ist das Neuordnen von privaten, eigenen Mitteln: „Wir haben ja nur uns, und da müssen wir drin rumbuddeln, vom Franz Moor bis zum Transvestiten ist alles in dir drin, du musst nur gucken, wo.“ Es bedeute allerdings auch, den eigenen Abgründen ge­genüberzustehen. Was manche Kollegen mit Alkohol bekämpfen, andere in die Psychose treibt.

Dietmar Bär spricht auch vom „Sendungsbewusstsein“ von Schauspielern, „dass man gern Leute aufstachelt“. Für ihn, der als Schüler in die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend eintrat, ist Theatermachen stets politisch, vom Spielplan her, von den Fragen, die jeden Abend verhandelt werden. Und das, sagt er, „seit über 2000 Jahren! Das muss man pflegen! Das wird immer wertvoller.“