Fast 28 Jahre, tausende Stunden Klaviermusik, das größte Pianistentreffen der Welt: Nun geht Intendant Franz-Xaver Ohnesorg und blickt zurück.

Essen Er ist der dienstälteste Intendant, den Nordrhein-Westfalen je sah: Fast 28 Jahre hat der gebürtige Bayer Franz Xaver Ohnesorg (75) das Klavierfestival Ruhr geleitet. Nun klappt er in Essen den Flügel zu. Lars von der Gönna traf ihn zum Abschiedsgespräch in Stadtparknähe – in Ohnesorgs überraschend kleinem Chefbüro unterm heißen Dach, die Fenster weit geöffnet.

Für einen so einflussreichen Kulturmanager residieren Sie aber sehr zurückhaltend.

Ohnesorg: Das ist preisgünstig! Mansarden werden anders berechnet.

Diesen Dachstuhl werden Sie kaum vermissen. Was wird Ihnen fehlen, nun, da Sie gehen?

Na, die Menschen. Das klingt pauschal, aber so ist es – zum Beispiel enorm engagierte Menschen, leidenschaftliche Förderer, Donatoren und Gremienmitglieder. Mir sind in dieser Zeit viele schöne menschliche Beziehungen zugewachsenen, die bleiben werden.

Köln ist Ihre Wahl-Heimat, weit weg sind Sie also nicht. Werden wir Sie weiter hier sehen?

Sicher, aber 2024 gehört die Bühne ganz meiner Nachfolgerin Katrin Zagrosek. Sie soll sich voll entfalten können, ohne dass der alte Intendant im Hintergrund ist.

Sie könnte Ihre Tochter sein. Ein echter Generationswechsel...

…und der ist gut. Ich bin ein Kind meiner Zeit, viele Künstler, die hier ein und ausgingen, kannte ich oft seit ihren Anfängen, das prägte meinen Spielplan. Ein Mensch, der 30 Jahre später geboren ist bringt ein anderes Weltbild mit, setzt andere Akzente, das halte ich für unbedingt wünschenswert....

Sie sind wahnsinnig lange geblieben. Ging das wie von selbst?

Was geht schon von selbst?! Das kann man so nicht sagen, aber ich hab’s doch sehr gern gemacht, zumal nach der Umwandlung des Klavierfestivals in eine Stiftung. Bis dahin hatten wir nur jährliche Budgetentscheidungen. Ich aber musste bei Künstlerverhandlungen, oft drei Jahre im Voraus planen. Ich konnte allerdings darauf vertrauen, dass der Initiativkreis mich nicht hängen lässt. Doch die jetzige stabile Organisationsform ist für so ein Festival ideal und für die Zukunft tragfähig.

Sie haben es auch geographisch erweitert. Nicht jeder konnte nachvollziehen, dass Düsseldorf oder Wuppertal plötzlich das Label „Ruhr“ trugen...

(lacht) Bei Düsseldorf habe ich erst die Ausrede gehabt, dort stehe bekanntlich der Schreibtisch des Ruhrgebiets. Im Ernst: Beide Städte haben wunderbare Konzertsäle mit jeweils großartigem Publikum. Es hat dem Festival sicher nicht geschadet, auch an Rhein oder Wupper präsent zu sein.

Die glanzvolle Gala war das eine, die Arbeit mit Menschen, denen Bach und Brahms nicht an der Wiege gesungen waren, das andere...

Beides hängt eng zusammen. Ich konnte das Sponsoring verdreifachen und den Kartenverkauf verdoppeln. Damit hatte ich endlich die Spielräume für unser „Education-Programm“, also für unsere Kinder- und Jugendprojekte. Ich halte es gerade im Ruhrgebiet für eine moralische Pflicht, sich um diejenigen Kinder zu kümmern, für die der Zugang zur Musik nicht selbstverständlich ist.

Dennoch bleiben ganze Gruppen der Klassik fern. Schmerzt das?

Das ist die Realität, auch wenn unser Engagement groß ist. Aber in dieses große Klagelied stimme ich nicht gern ein. Wir haben es immer wieder geschafft, unser Publikum zu verjüngen. Ich wollte bewusst keine Hürden. Bei uns können Sie als Familie für zehn Euro Kinder-Tickets bekommen.

Sind die Alten nicht aber das „Kapital“ der Klassik-Szene?

Und ob, ein unschätzbar wertvolles Publikum! Ich halte es für einen riesigen Fehler mancher Kulturmanager, diese Gruppe nachlässig zu behandeln. Im Gegenteil: Ich finde es wunderbar, wenn ältere Menschen im Konzert ihre Seelen aufladen und hier glücklich werden. Es ist ein Segen, dass wir heute so viele alte Menschen im Konzert haben. Glücklicherweise wird diese Gruppe ja noch größer.

Sie waren mehr als ein halbes Jahrhundert Kultur-Ermöglicher. Was haben Sie an diesem Beruf gehasst, was geliebt?

Gehasst gar nichts. Geliebt, dass ich gestalten und vor allem Künstlern helfen konnte, besonders gut zu sein – indem wir Bedingungen geschaffen haben, die ihnen das Musizieren leicht machen – von der Abholung vom Flughafen bis zum idealen Saal. Sie sollten sich umsorgt fühlen. Wenn man dann spürt, dass diese Faktoren besonders gute Ergebnisse erbringen, dann bin ich schon sehr, sehr glücklich. Genauso glücklich bin ich, wenn ich in die Gesichter der Kinder in Marxloh schaue, wie sie durch unsere „Piano School“ das Zuhören lernen oder bei Tanzprojekten stolz sind auf eigene Erfolge.

Sie gelten als Perfektionist. Aber alles kann auch „FXO“ nicht allein machen. Wie reagieren Sie, wenn jemand im Team Fehler macht?

Ich bin kein Freund von „Fehler sind da, um gemacht zu werden“. Aber aus Fehlern zu lernen, das halte ich für unabdingbar. Das muss allerdings jeder Mitarbeiter auch verstehen.

In Ihrem Leben haben Sie tausende Stunden Musik ermöglicht: alle verklungen. Denken Sie darüber nach?

Aber natürlich, mit steigendem Alter zumal. Es ist halt eine „Luftkunst“, das Verklingen liegt in der Natur der Sache! Es führt aber auch dazu, dass man den Augenblick noch bewusster erleben kann – bei mir in Form von großer Dankbarkeit und lustvollen Erinnerungen. Ganz nach dem Nietzsche-Wort: „Doch alle Lust will Ewigkeit.“

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WIE GEHT ES MIT „FXO“ WEITER?

Nach Stationen in München, New York (Carnegie Hall), Köln (Philharmonie) und Berlin war das Klavierfestival Ruhr Franz Xaver Ohnesorgs letzte hauptberufliche Station. Was kommt? „Ich freu mich wahnsinnig, auch guten Gewissens dicke Bücher anzugehen, ob Hemingway oder Dostojewski. Auch auf viele Filme, die ich versäumt habe“, sagt Franz Xaver Ohnesorg und ergänzt: „Ich freue mich auf die Freiheitsgrade.“ Nicht ausschließen will er, seine Erinnerungen aufzuschreiben.