Essen. Von Genua ins Revier: Andrea Sanguineti ist neuer Generalmusikdirektor in Essen. Dort will er musikalisch mehr sein als der Italiener vom Dienst.

Essens Philharmoniker werden 125, aber erstmals in ihrer Geschichte (und der des Aalto-Opernhauses) wird künftig ein Italiener an der Spitze des Klangkörpers stehen. Andrea Sanguineti (40) ist neuer Generalmusikdirektor. Lars von der Gönna sprach mit ihm über Mode, Drill – und Spaghetti...

Nehmen Sie es als Kompliment: Man könnte ahnen, dass Sie Italiener sind – sehr fesch angezogen. Warum schreibt man das Ihren Landsleuten zu Recht zu?

Sanguineti: Es gibt einen Spruch in Italien: „L’abito non fa il monaco“ – es ist nicht die Kleidung, die den Mönch macht. Sicher gilt unser Bewusstsein zu Recht inneren Werten. Aber ich bin doch überzeugt, dass eine gewisse Art, sich gegenüber einem Orchester oder Mitarbeitern zu präsentieren, auch Wertschätzung bedeutet. Außerdem macht ein großes Opernhaus eine repräsentative Arbeit, das darf man ruhig sehen.

Können Sie mit Karl Lagerfelds Weltsicht, jemand, der in Jogginghose einkaufen geht, habe sich aufgegeben, was anfangen?

Schon, aber wenn die Marke stimmt, lässt sich sogar über Jogginghosen reden (lacht).

Reisen wir in Ihre Kindheit: Gab es den Moment, in dem Andrea sagt: „Musik wird mein Beruf sein!“?

Ob ich heute einen richtigen Beruf habe? Ich weiß es nicht. Ehrlich: Ich bin einfach nur ein glücklicher Mensch. Ich mache, was ich von Kind an tue. Ja, das ist ein Beruf geworden, aber wir machen Kunst – das ist einfach kein normaler Job.

Dass es bis dahin harte Arbeit war, wollen wir nicht verschweigen. Sie waren ein Wunderkind...

Und dazu gab es eine weitere Schiene: Ich war Turner. Das war Drill ohne Ende. Manche, die das heute betrachten, sagen: Deine Kindheit war schlimmer als Militär! Du sagst ein falsches Wort und machst erstmal 150 Liegestütze.

Und dann die Klavierwettbewerbe, gnadenlose Auslese: 100 Punkte sind das Maximum und dann passiert (Sanguineti setzt sich ans Klavier und baut in Mozarts A-Dur-Sonate einen Patzer ein) das! Zehn Punkte weg! Das war meine Welt. Für die meisten jungen Menschen heute unvorstellbar.

Wunderkind: Ein Foto des kleinen Sanguineti am Klavier.
Wunderkind: Ein Foto des kleinen Sanguineti am Klavier. © Sanguineti/Privat | Sanguineti

Was hat Sie als Kind getragen bei solchen harten Anforderungen?

Die Liebe zur Musik! Meine Brüder spielten Geige und Cello, wir kannten nicht viel anderes. Wir lebten fast in einer „Bubble“, wir hatten einen prallvollen Terminkalender, kaum Zeit für Freunde. Wir haben uns gegenseitig aufgebaut.

Ein gigantischer Gegensatz zur chillenden Jugend von heute?

Ich hab’ einen neunjährigen Sohn. Wenn ich sehe, welche Werte heute gelten und dazu null Pflichten, dann bin ich manchmal irritiert.

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Sie waren immer ein Überflieger, sehr schnell, oft der Jüngste. Wenn man blutjung vor einem erfahrenen Orchester steht, wie dringt man durch? Konnten Sie das von Anfang an?

Im Studium lernt man Technik, aber Feeling für das Orchester: null! Das muss man lernen, das ist hart. In Hannover habe ich gelernt, wie ich vor einem Orchester zu funktionieren habe. Orchester mögen keine Debütanten, das ist total unsexy. Anerkennung wird einem nicht geschenkt, du musst dich durchboxen. Es ist ein Kampf um Respekt. Am Ende steht bestenfalls große Motivation, die braucht man, damit Kunst entsteht. Feuer! Sonst ist es bloß Dienst.

Kennen Sie nach vielen Jahren noch Zweifel?

Man wird cooler, aber ich gehe nie zufrieden nach Hause. Daran muss ich noch arbeiten. Wenn man mit sich selbst so meckerig ist, darf man das auf keinen Fall auf die Musiker übertragen. Niemals!

Was reizt Sie an dem neuen Amt?

Zwei fantastisch schöne Häuser natürlich: Aalto und Philharmonie. Aber auch das Repertoire. Es ist wie es ist: Als Italiener wirst du halt gebucht für Bellini, Donizetti und so. Schubladen eben. Ich freu’ mich riesig, im sinfonischen Fach und in der Oper Anderes zu machen. Wagner etwa liegt Italienern sehr, denken Sie an Gatti, Pappano, Sinopoli.

Das Thema bringt uns schon zur Speed-Runde am Ende. Was bevorzugt ein in Deutschland arbeitender Italiener: Brioni oder Lagerfeld?

Lagerfeld.

Traviata oder Tristan?

(sehr entschieden) Tristan!

CFC Genoa oder Rot-Weiss-Essen?

Ich kümmer’ mich null um Fußball.

Spaghetti oder Sauerkraut?

(genüsslich) Spagheeetti.