Essen. Nach dem Urteil gegen Verdi sind theoretisch alle Wege frei. Einige Bibliotheken versuchen sich bereits erfolgreich an der Sonntagsöffnung.
Bücherstube, Studienplatz, Wohlfühlort: Bibliotheken sind beliebt, auch an Sonntagen. Dann kommen die Familien mit Kindern, Stammkunden, die in Ruhe lesen und am Laptop chatten wollen – aber auch Lerngruppen nutzen den freien Tag, um sich auf Prüfungen vorzubereiten. Und so will Jan-Pieter Barbian, Direktor der Duisburger Stadtbibliothek, sein Angebot auch so bald wie möglich ausbauen.
Bisher können zwei der 13 Standorte als „Open Library“ auch sonntags von sieben bis 22 Uhr genutzt werden, Wanheimerort und Vierlinden im Norden. Mit dem Bibliotheksausweis öffnet sich die Tür automatisch – Leselustige dürfen sich in den Räumen aufhalten, Bücher ausleihen und zurückgeben. Für Sicherheit sorgen Videokameras. Was es nicht gibt, ist Fachpersonal. Doch das könnte sich jetzt zumindest theoretisch bald ändern.
NRW gilt bei der Sonntagsöffnung als Vorreiter
Sonntags in die Bibliothek – das ist in Nordrhein-Westfalen schon lange ein Thema. Im Jahr 2019 verabschiedete das Land das Bibliotheksstärkungsgesetz, das eine Förderung von Initiativen zur Sonntagsöffnung vorsieht. „NRW gilt da als Vorreiter“, sagt Patrizia Gehlhaar, Geschäftsführerin des Verbandes der Bibliotheken des Landes NRW. Bisher allerdings blieb der Run auf die Gelder aus, sicher auch eine Folge der Corona-Pandemie. Gerade mal rund 20 städtische Bibliotheken haben aktuell in NRW sonntags regulär geöffnet.
Jetzt könnten es deutlich mehr werden. Das Oberverwaltungsgericht für NRW wies die Klage der Gewerkschaft Verdi ab, die eine Sonntagsöffnung zum Schutz der Angestellten verhindern wollte. Bibliotheken seien nichtkommerzielle Orte der Kultur, urteilten die Richter am 1. Juni in Münster. Und weil auch Theater und Museen sonntags öffnen dürfen, könne das Bibliotheken nicht verwehrt werden. „Viele haben abgewartet“, vermutet Patrizia Gehlhaar. „Aber jetzt sind wir rechtlich auf der sicheren Seite.“ Nach den Sommerferien rechnet sie nun mit einem deutlich steigenden Interesse an den Förderprogrammen.
In Dinslaken sind die offenen Sonntage schon Routine
In der Stadtbibliothek Dinslaken ist der offene Sonntag unterdessen schon Routine. Hier wurde bereits im Winter 2019/2020 im Teilbetrieb auf Open Library umgestellt, damals als Pilotprojekt, schildert Bibliotheksleiterin Constanze Palotz. Die Idee, die dahinter steckt: In den Monaten Oktober bis März, in denen die Bibliothek stärker genutzt wird, bleibt sie samstags und sonntags von 13 bis 18 Uhr geöffnet. „Viele kommen täglich zu uns“, sagt Constanze Palotz. „Denen wollten wir ein Angebot machen.“
Aufsicht führt ein Wachdienst an der Tür, so dass Besucher die Räume auch ohne einen Büchereiausweis nutzen können. „Nur ein Drittel hat eine Karte“, gibt Palotz zu bedenken. Es kämen auch viele Initiativen ins Haus, um sich zu treffen. Und die Kunden seien ja ohnehin selbstständig: Ausleihe, Rückgabe und die Mitnahme von Vorbestellungen sind elektronisch möglich, Gebühren können online bezahlt werden.
Museum und Bibliothek als Einheit in Witten
Auch in der Mediathek Kamp-Lintfort bietet das Team eine Open Library an: Sonntags von 13 bis 18 Uhr, der Zugang erfolgt auch hier via Bibliotheksausweis. Vor Ort waren bisher Aushilfskräfte, Studentinnen und Studenten, demnächst wird ein Wachdienst die Aufsicht übernehmen. „Für uns hat das Verdi-Urteil keinen praktischen Wert“, räumt Mediatheksleiterin Yvonne Frericks ein. Alles läuft gut, der Einsatz von Fachpersonal sei nicht geplant. Die Kolleginnen fielen ja sonst auch unter der Woche aus.
Auch interessant
Ein Modell der Zukunft könnte die Stadt Witten sein, auch wenn dort andere Voraussetzungen gelten. 2016 nahm die Bibliothek am jetzigen Standort ihre Arbeit auf – in einem Gebäude mit dem Märkischen Museum, an dessen Zeiten man nun gekoppelt sei, berichtet Leiterin Christine Wolf. Und so bleibt die städtische Bücherstube sonntags von 12 bis 18 Uhr offen – und an den Montagen geschlossen.
Aktuell gibt es nicht genug Personal für die Sonntagsöffnung
Sämtliche Mitarbeiter des Museums und der Bibliothek sind Angestellte des Kulturforums Witten, was Flexibilität ermöglicht. So können sie auch bei Lesungen und Vorträgen vor Ort sein, die jetzt dank der Förderung des Landes achtmal im Jahr starten können. Und an den Sonntagen gibt es ein Spiel- und Bastelprogramm für Kinder. „Wir verstehen uns auch als Kulturhaus“, beschreibt Christine Wolf. „Sonntags herrscht hier immer eine besonders schöne Stimmung.“
In Duisburg sollen jetzt nach und nach alle Standorte mit der Open-Library-Technologie ausgestattet werden, kündigt Jan-Pieter Barbian an. Auch die Zentralbibliothek mit ihrem großen Angebot würde er gern an den Sonntagen öffnen. Allerdings sollte dort Fachpersonal vor Ort sein, „und das können wir aktuell nicht leisten.“ Es sei schwierig, Stellen qualifiziert zu besetzen.
Fürs erste freut ihn das Urteil. Schließlich erfüllten Bibliotheken eine wichtige gesellschaftliche Funktion. „Wir bieten die einzigen nichtkommerziellen Räume in Innenstädten, die für ganz viele Menschen niedrigschwellig zur Verfügung stehen.“ Auch Kollegin Palotz aus Dinslaken verweist auf den Geist der Zeit. Der Alltag hat sich verschoben, die Verfügbarkeiten von Möglichkeiten nehmen immer mehr zu. „Früher gab es ja auch nur drei Fernsehprogramme.“
>>> Kommentar: Service kostet Geld <<<
Sonntags ins Museum oder ins Theater, das ist selbstverständlich. An freien Tagen haben die meisten Menschen die Möglichkeit, sich eine Ausstellung anzusehen, auch Matineen werden gern besucht. Jetzt steht in NRW auch Büchereien nichts mehr im Weg, um an Sonntagen zu öffnen. Das Oberverwaltungsgericht hat sie mit anderen Kulturorten gleichgesetzt; die Besucherzahlen, so heißt es, zeigten ein reges Interesse.
In einigen Städten weiß man das. Darunter sind auch kleinere, die bereits beherzt entschieden haben, mit Hilfe von Fördermitteln des Landes ihre Räume an den Sonntagen zu öffnen. Das Publikum dankt es ihnen. Und um die Zufriedenheit der „Kunden“ und „Kundinnen“ sollte es doch eigentlich gehen.
Trotzdem ist das Interesse landesweit gering. Und das könnte mit dem Geld zusammenhängen: Das Modell der Open Library ist ein Anfang, aber auch die Umrüstung kostet auf Dauer. Noch teurer ist der Einsatz geschulter Mitarbeiter, wie er jetzt theoretisch möglich ist.
Im Verband der Bibliotheken in NRW, dem Branchenvertreter, spricht man von einem „heißen Eisen“: Personal ist knapp, es müsste umgedacht und aufgestockt werden. Höchste Zeit für die Städte und ihre Verwaltungen, das Problem in Angriff zu nehmen. Moderne Zeiten sollten nicht vor Bücherei-Türen Halt machen.