Castrop-Rauxel. In Castrop-Rauxel feierte Lutz Hübners politisches Kammerspiel „Furor“ Premiere – ein Streitgespräch mit beklemmender Perspektive.
Im Berufsverkehr hat Heiko Braubach (Mario Thomanek) einen drogenabhängigen 17-Jährigen überfahren, er sprang aus der Straßenbahn direkt vor seinen Wagen. Den Ministerialdirigenten und Bürgermeisterkandidaten trifft, das haben die Ermittlungen ergeben, keine Schuld an dem Unfall.
Trotzdem fühlt er sich verantwortlich und besucht Nele Siebold (Franziska Ferrari), die Mutter des Jugendlichen, der beinamputiert auf der Intensivstation liegt. Braubach will der überforderten Frau helfen, indem er ihrem Sohn hilft. Bei der Behandlung und Nachversorgung, in Versicherungsfragen, später bei der Berufsausbildung.
Ralf Ebeling richtete Lutz Hübners und Sara Nemitz’ „Furor“ im Studio des WLT ein
In dem politischen Kammerspiel „Furor“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das Ralf Ebeling im Studio des Westfälischen Landestheaters (WLT) eingerichtet hat, setzt die angespannte Auseinandersetzung zwischen der verzweifelten Mutter, die hinter jedem Hilfsangebot einen Haken wittert, und dem selbst aus dem Arbeitermilieu stammende Braubach ein erstes darstellerisches Glanzlicht.
Als Nele Siebold schließlich überzeugt ist, dass der Bürgermeisterkandidat tatsächlich nur seinen eigenen moralischen Ansprüchen gerecht werden und die Unterstützung keinesfalls medial-politisch ausschlachten will, taucht Neles Neffe Jerry (Tobias Schwieger) auf. Der 30-Jährige, der als schlecht bezahlter Paketzusteller jobbt, will aus dem Unfall Kapital schlagen und erpresst den Politiker, droht mit einer Internetkampagne und vernichtenden Fake-News. Vordergründig geht es um Geld, tatsächlich aber um die Unterstützung einer „Revolution“.
Der Feind sind die Eliten, sagt der Rechtsradikale
Während Braubach (auch) an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen für sein Schicksal festhält, erweist sich Jerry zunehmend als Rechtsradikaler. Dass die repräsentative Demokratie an allem schuld ist, dass Politiker korrupt sind, die Justiz gekauft und die „Systempresse“ willfährig ist, das weiß man ja, das kann man doch in den sozialen Medien lesen. Der Feind sind die Eliten, und die müssen abgeschafft werden.
Das Beklemmende an dem furiosen Streitgespräch liegt in der Perspektivlosigkeit. Gegen die virale Pauschalhetze im Internet, gegen die rechte Anhängerschaft lässt sich argumentativ kaum noch angehen. Zum Schluss wirft Nele ihren aggressiven Neffen kurzerhand raus. Und Baumann bekräftigt sein Versprechen zu helfen, „im Rahmen dessen, was möglich ist“. Noch möglich. Denn das hängt auch davon ab, ob und wie Jerry seine Internet-Drohungen wahr macht.
„Furor“ geht auf Tournee und wird am WLT erst im Januar 2024 wieder aufgenommen.