Castrop-Rauxel. Das Westfälische Landestheater wandelt gern auf der Erfolgsspur bekannter Stoffe: Mit Schirachs „Der Fall Collini“ funktioniert es absolut nicht.
Sehen wir es positiv. Das in Corona-Zeiten theaterentwöhnte Publikum genoss in der gut ausgelasteten Stadthalle spürbar das ersehnte Ende der Zwangsabstinenz; die endlich auslebbare Feierlaune entlud sich in begeistertem Beifall für die erste große WLT-Premiere der neuen Spielzeit.
Trotzdem bleibt die Frage, warum man sich für eine Bühnenadaption von Ferdinand von Schirachs Justizstory „Der Fall Collini“ von 2011 entschieden hat. Gut, das Werk ist sogar verfilmt worden, 2019 mit Elyas M’Barek und Heiner Lauterbach, aber das ist eher ein Marketing-Kriterium. Das dünne Büchlein, das Dramaturg Christian Scholz zum Glück noch weiter ausgedünnt hat, ist lieblos geschrieben, steckt voller logischer Fehler. Die Charaktere sind erschreckend blutleer; eine völlig überflüssige Love-Story dient letztlich nur als juristische Klammer, ohne die das ganze Gefüge zusammenbrechen würde.
Im Jahre 2001 erschießt der Gastarbeiter Fabrizio Collini (Guido Thurk) den Großindustriellen Hans Meyer. Der junge Anwalt Caspar Leinen (Tobias Schwieger) wird als Pflichtverteidiger bestellt; Nebenklägerin ist Meyers Enkelin Johanna (Franziska Ferrari), mit der Leinen mal liiert war. Weil der Täter keine Angaben macht, fängt Leinen an zu recherchieren. Meyer hatte als SS-Obersturmbannführer in Italien die Hinrichtung von Partisanen, darunter Collinis Vater, angeordnet.
Versuche, Meyer später vor Gericht zu stellen, scheiterten. Nach einem Bundesgesetz von 1968 war das NS-Verbrechen verjährt. Jetzt hat der Sohn späte Rache geübt. Regisseurin Karin Eppler kann sich nicht so recht entscheiden, ob sie ein Justizdrama oder eine Volkstheater-Komödie um einen Anwaltsneuling inszenieren will. Wie der überforderte Tobias Schwieger den unsicheren, fürchterlich zappeligen Rookie spielt, das garantiert zwar immer wieder Lacher, doch den Wandel zum engagierten, zielstrebigen Verteidiger nimmt man ihm umso weniger ab.
Und man fragt sich, warum Guido Thurk, sonst eine der Stützen des Ensembles, im Hintergrund in einer gazeverhangenen Box (Zelle, Verhörraum, Anklagebank) verharren muss und fast zur lebenden Requisite degradiert wird. Was davor abläuft, im Einheitsbild mit kargen Büromöbeln, das konzentriert sich gern auf die Bühnenmitte, wenn die Darsteller nicht gleich mit Blick auf die Rampe spielen. Immerhin sorgen Vesna Buljevic (Richterin) und vor allem Burghard Braun als Vertreter der Nebenklage für einige wirklich überzeugende schauspielerische Momente.
Die nächsten Termine und Info zu Eintrittskarten unter www.westfaelisches-landestheater.de