Dortmund. Das Ostwall-Museum im Dortmunder U-Turm hat eine Art Frühjahrsputz gemacht und zeigt sich und seine Sammlung neu. Mit Blicken hinter die Kulissen
Der „Zoologische Garten“ von August Macke, die klassisch-moderne Ikone des Hauses, ist noch zu sehen – und sogar schon taufrische Kunst von der Documenta 15: Selma Selmans Porträts von Roma-Männern und -Frauen auf Oberklasse-Motorhauben hängen da an der Wand, samt einer Video-Performance, die Selman und ihre Helfer beim nicht eben zaghaften Zerlegen eines dieser ausgedienten Statussymbole zeigt. Und auch sonst ist viel neu: Das Ostwall-Museum hat eine Art Frühjahrsputz gemacht und seine Sammlung neu gehängt, gestellt, gruppiert. Und über sich selbst nachgedacht.
Empfangen werden wir von einer Art Design-Raum der 50er-Jahre: Rechts eine Keramik-Karaffe von Picasso, links ein Exemplar des legendären, stilbildenden „Rot-blauen Stuhls“ von Gerrit Rietveld aus 13 Vierkanthölzern, zwei Latten und zwei Schichtholzplanken als Lehne und Sitzfläche. Die erste Museums-Chefin Leonie Reygers sammelte seit der Gründung 1947 im schwer beschädigten Altbau am Ostwall nicht nur Kunst, sondern auch hochwertiges Alltags-Design, wollte das Museum zur Schule für „Gutes Wohnen“ machen. Lesesaal mit Bauhaus-Mobiliar inklusive. Die Gründungsdirektorin suchte schon jene Durchdringung, die der Titel der neuen Sammlungspräsentation „Kunst – Leben – Kunst“ mehr als zart anzudeuten versucht.
„Der erste sitzende Stuhl“ von Timm Ulrichs, ein Scherz mit geknickten Beinen
Und dann, gleich um die Ecke rechts, die kritische Dimension der Kunst: Timm Ulrichs’ mitleiderregendes Werk „Der erste sitzende Stuhl (nach langem Stehen sich zur Ruhe setzend)“, dem die beiden hinteren Beine weggeknickt sind wie einem müden Hund. Neben einem Zickzack-Stuhl, wiederum ein Rietfeld-Entwurf.
Es geht nun in Dortmund um die Kunst von allen Seiten. Da gibt es ein Seitenkabinett, das dem Publikum die sonst unsichtbare Arbeit der Restaurierung und Konservierung von Kunstwerken fast handgreiflich, jedenfalls sehr anschaulich vor Augen führt. Und gegenüber geht es an eine ganz andere Stelle hinter den Kulissen, von der die wenigsten Kunstfans überhaupt wissen, wie zeitraubend sie ist: den Leihverkehr. Von der ersten Anfrage eines britischen Museums, das gerne Paula Modersohn-Beckers „Mutter mit Kind auf dem Arm, Halbakt II“ in einer Sonderausstellung zeigen wollte. Die Brief- und E-Mail-Bögen des dazu nötigen Schriftverkehrs füllen eine ganze Wand (und das ist nur ein Auszug!), ein Video begleitet das Werk vom Einpacken in Dortmund in den Transport-Safe der einschlägig bekannten Spedition Hasenkamp bis zum Aufhängen in London in Anwesenheit einer Kurierin des Dortmunder Museums. Auf einer Europa-Karte verraten flexible QR-Codes, wo sich gerade welches Dortmunder Werk auf Ausleih-Pfaden befindet.
Allan Kaprow, Ernst Ludwig Kirchner und der Kindermal-Raum von Leonie Reygers
Selbstverständlich gibt es auch die Vorderseite der Kunst zu sehen. Klug sortiert nach den Sammlungs-Schwerpunkten Naive Kunst, Neuer Realismus, Fluxus, Konzeptkunst… Bei der Aktionskunst dürfen wir selbst Dinge probieren, mit Allan Kaprow hand- und mundgemachte „Air Condition“ entwickeln, über die Vorzüge unserer Lieblingsschuhe reden oder Regeln für ein Schachspiel auf einem Nadelkissen entwerfen. Eine vorzügliche Auswahl aus dem Expressionismus-Schwerpunkt, mit dem man versuchte, die von den Nazis verfemte Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg zu rehabilitieren (u.a. mit der gefühlsgewaltigen, enorm eintauchenswerten „Stafelalp bei Mondschein“ von Ernst Ludwig Kirchner). Und ein Film aus dem WDR-Archiv zeigt auch, dass Leonie Reygers 1961 am Ostwall 7 für den ersten Kindermal-Raum eines deutschen Museums sorgte.
Damit sich das Haus auch in Zukunft den Bedürfnissen der Gegenwart anpassen, sie gar vorausahnen kann, hat man im Ostwall einen achtköpfigen Museumsbeirat eingerichtet, dessen Arbeit sich im letzten Raum der Ausstellung spiegelt. Und wird sich was verändern – schließlich ist die jetzige Sammlungspräsentation auf drei bis vier Jahre Laufzeit angelegt...