Dortmund. Dortmunds Museum Ostwall zeigt, wie Nam June Paik, vornehmlich bekannt als „Vater der Videokunst“, als verschmähter Komponist seinen Weg fand.

Eigentlich war Nam June Paik (1931-2006) gar kein Videokünstler. Nun gut, er gilt als Pionier und Vater dieser immer noch jungen und fast schon wieder veralteten Kunstform. Aber eigentlich war Paik Musiker und Komponist. Er hat sich allerdings selbst mit dem ihm eigenen Humor wiederholt als „bekanntesten schlechten Pianisten der Welt“ bezeichnet. Als Anfang der 50er-Jahre in Tokio, er war gerade mitten im Kompositions-Studium, bei einem Wettbewerb ausgerechnet sein Stück zuerst gekippt wurde, wachte er am nächsten Morgen nur noch als Musikhistoriker auf, erinnerte er sich einmal.

So begann er Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre in Europa mit seiner „Aktionsmusik“, aufgeführt bei den wilden, mal bedeutungsschwangeren, mal banalen, aber immer provokativen Performances der Fluxus-Bewegung, vor allem im Rheinland. Paik studierte hier auch weiter Musik bei Karlheinz Stockhausen, und auf diese musikalischen Wurzeln führt nun eine Ausstellung im Dortmunder Museum Ostwall Paiks Kunst zurück – und das reicht bis zu jener Groß-Installation „Sixtinische Kapelle“, mit der er 1993 in Venedig den Goldenen Löwen der Biennale gewann; sie ist der unumstrittene Höhepunkt dieser Ausstellung im Oberlichtsaal des Museums: 34 Beamer erzeugen per Zufallsgenerator mit Filmausschnitten von Beuys bis Janis Joplin, von Paik bis John Cage eine klangvolle Kathe­drale der Avantgarde. bis es ist sogar der Medienkunstpreis Kein Loop, nie gleich, immer fesselnd.

Film zeigt, wie Nam June Paik immer wieder ein Klavier umwirft

In einem Seitenkabinett dieser Ausstellung sieht man einen Film, in dem ein freundlich lächelnder Nam June Paik immer wieder ein Klavier umwirft, das dann von sechs Helfern wieder aufgerichtet wird. Vielleicht muss man sich seine Kunst als eine Art liebevoller Rache an der Musik vorstellen, die ihn ja verschmäht hatte. Statt Musik zu spielen, stellte er sie aus: „I Expose the Music“ lautet denn auch der Titel der Schau. Fotos, Dokumente und Relikte beschwören Paiks frühe Aktionen, etwa in der Wuppertaler Galerie „Parnass“ herauf.

Dort hatte auch sein „Schallplatten-Schaschlik“ Premiere, der heute zum Bestand des Ostwall-Museums gehört: Wie auf einem Döner-Spieß drehten sich Schallplatten, die von Zuschauern mit einem frei beweglichen Tonarm in beliebiger Folge abgespielt werden konnten – heute ist so etwas längst salon-, also club-fähig und heißt Scratching. Auf einem Foto sieht man den Künstlerkollegen Wolf Vostell beim Ausprobieren des „Schallplatten-Schaschliks“.

Komplizen statt Konsumenten

Überhaupt sah Paik in seinem Publikum weniger die Konsumenten als vielmehr die Komplizen: Sein „Random Access“ besteht aus Tonband-Fetzen an der Wand, über die man mit einem Tonabnehmer fahren kann, um selbst Klänge zu erzeugen; im „Participation TV“ warten rechts und links zwei Mikrofone, und der farbige Kringel im Röhrenfernseher dazwischen verändert sich mit jedem Ton, den Besucher hineinsprechen.

Und er scheint einer der wenigen Künstler gewesen zu sein, die sich nicht als Konkurrent der anderen verstehen, sondern auffallend gern mit ihnen kooperieren. Paiks Arbeit mit der wunderbaren Cellistin und Provokateurin Charlotte Moorman ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die an der Juilliard-School eisern gedrillte Musikerin liebte es, mit den ihr so wohlvertrauten Regeln der Klassik zu brechen, und darin wusste sie sich einig mit Nam June Paik. Den sehen wir in Dortmund auch als unermüdlichen Optimisten, der sich von der Technik ein Zusammenwachsen der Menschheit versprach. Und der jeden neuen Fortschritt sofort für Kunst nutzbar machte; nicht nur mit Bildschirmen und Videorekordern, sondern auch mit Satellitenübertragungen und Beamern

Zur Ausstellung

Nam June Paik: I Expose the Music. Museum Ostwall im U-Turm. Leonie-Reygers-Terrasse 2, 44137 Dortmund. Bis 27. August. Geöffnet: Sa/So/Di/Mi 11-18 Uhr; Do/Fr 11-20 Uhr; Eintritt: 9 €, erm. 5 €. Der sehr gut recherchierte, ruppig gedruckte Katalog mit vielen Aktions-Fotos kostet 29,90 € (Spector Books).