Gelsenkirchen. Musik als Zumutung, dem Leid der Figuren ganz nah: Reimanns „Bernarda Albas Haus“ in Gelsenkirchen ist große Oper - und harte Kost zugleich

Manchmal kann Theater nicht anders, als eine Zumutung zu sein. Das Leid der Figuren quält in Aribert Reimanns Oper „Bernarda Albas Haus“ 140 pausenlose Minuten auch uns, unerbittlich (schon der Beginn eine einzige Herzrhythmusstörung), kompromisslos. So braucht gestählte Ohren und gute Nerven, wer sich dem stellt. Bestenfalls aber dringt ein großer Abend zeitgenössischen Musiktheaters zu ihm durch.

Reimann (heute 87) schuf im Jahr 2000 zu einem Stück dramatischer Weltliteratur eine Musik aus Tod und Verderben, immerwährender Seelenqual, begrabener Hoffnung und der strangulierenden Wucht von Tradition und sogenanntem Anstand. Das ist nicht weniger als eine Klang gewordene Entsprechung auf Federíco Garcia Lorcas Schauspiel über ein andalusisches Frauengefängnis der 1930er Jahre, dessen Mauern Familie heißen.

Premiere von „Bernarda Albas Haus“ am Musiktheater im Revier gefeiert

Die zum zweiten Mal Witwe gewordene Bernarda Alba kettet ihre fünf Töchter an ein Mauerwerk aus Verbitterung und hohlem Ethos. Fassade ist alles in der südspanischen Ödnis, jedes Wort im Miteinander dieser Sippe Unterjochung und Seelenfolter. Lorca schrieb ein Stück, in dem kein einziger Mann zu sehen ist. Aber einer wie Dietrich Hilsdorf hat doch welche im Gepäck: In seiner subtilen, erzählerisch bestechend klar gearbeiteten Inszenierung gibt es einen Prolog des anderen Geschlechts. Kurz vor seinem Begräbnis liegt Bernardas Mann im Sarg, die Uniformierten, die ihn zu Grabe tragen werden, lungern kartenspielend herum.

Regie von Hilsdorf subtil, Sängerinnen grandios, Orchester in großer Form

Der Leichnam hat etwas Geschundenes. Ein Wiedergänger Lorcas, den Francos willige Vollstrecker im Jahr dieses seines letzten Werks „amtlich“ erschossen? Später wird, wie aus dem Schattenreich, immer wieder eine projizierte Soldateska aufmarschieren, die Gewehre im Anschlag wie in Goyas „Erschießung der Aufständischen“.

Schon lange vorher rollt der todbringende Wahn der Titelfigur über die Ihren hinweg. Hilsdorf zeichnet diese Struktur ganz als Schauspielregisseur. Nichts Opernhaftes regiert bei ihm die Studie der Diktatur unter dem Brennglas des Einzelschicksals, für die Dieter Richter einen Einheits-Raum schuf – Architektur entseelter Frömmigkeit und abgelebten Wohlstands. Hilsdorfs Regie stellt sich völlig in den Dienst der Musik und ihrer starken Protagonisten; Reimanns sämtlich halsbrecherische Partien werden am Musiktheater im Revier auf einem Niveau gesungen, das ersten Häusern Ehre macht. Ob Schmerzens­arie, Gesang eingekerkerter Sirenen oder Requiem auf ungelebte Leben: Alle Farben und Formen Reimanns reizt das Ensemble (stellvertretend seien Almuth Herbsts Bernarda, Soyoon Lees Martirio, Margot Genets Amelia und Katherine Allens Adele genannt) hochcharismatisch aus.

Mechthild Großmann („Tatort“ Münster) mit starkem Auftritt in Gelsenkirchens Opernhaus

Dass die Sängerinnen bei den reinen Sprechpassagen darstellerische Intensität einbüßen, fällt vor allem auf, weil die rein als Sprechrolle angelegte Figur der irren Großmutter derart grandios besetzt ist: In Mechthild Großmann findet Lorcas nachtschwarze Poesie eine gespenstisch eindringliche Anwältin.

Ein überragender Abend war es nicht zuletzt für die Neue Philharmonie Westfalen mit Johannes Harneit am Pult. Die große Cello-Gruppe bannt mit sehniger Dramatik, Altflöte und Klarinette zeichnen Seelengemälde der Verzweiflung, im Blech spiegelt sich die Zerrissenheit der Autorität und aus vier(!) Flügeln tönt purer Abgrund.

Ausverkauft, wie es mit Unkulinarischem so ist, war die Premiere nicht. Wer da war, feierte eine Großtat der aktuellen Opernsaison.

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TERMINE UND KARTEN

Bernarda Albas Haus. Musiktheater im Revier. 2:20 h, ohne Pause. Nächste Termine: 12., 18., 27. Mai; im Juni am 4., 10. und 24. Karten (ab 10€): Tel. 0209-4097200.