An Rhein und Ruhr. Mit dem oscargekrönten Brendan Fraser (und einem starken Ensemble) zeigt Darren Aronofsky mit „The Whale“, was Liebe zur Literatur bewegen kann.
Es ist fast ein wenig schade, dass Brendan Fraser für seine Darstellung als sich zu Tode fressender Literaturdozent Charlie den Oscar als bester Hauptdarsteller bekommen hat. Nicht, dass er ihn nicht verdient hätte. Aber das Wissen, dass da nun der nach Meinung der Akademie beste Hauptdarsteller des vergangenen Jahres auf der Leinwand schwitzt und ächzt, frisst und kotzt, verstellt womöglich den Blick auf das großartige Ensemble, dass um seinen weitgehend immobilisierten Leib herumtänzelt.
Es begleitet ihn während der letzte Tage, eingezwängt in eine schon ziemlich Messie-mäßige Wohnung, die eher einer dunklen Höhle gleicht, so vollgestopft ist sie mit Büchern und Essen und diesem riesigen Wal von einem Menschen.
Sadie Sink („Stranger Things“) spielt Charlies Tochter Ellie ebenso eindrucksvoll wie Hong Chau seine Freundin und Pflegerin Liz. Auch Ty Simpkins als jugendlicher Missionar Thomas und Samantha Morton in der Rolle der Ex-Frau Mary können auf ganzer Linie überzeugen. Wobei der Titel des Films doppeldeutig ist: Die Anspielung auf den Mann im Mega-Fatsuit ist offensichtlich. Beinahe genauso oft aber geht es um Moby Dick, den literarischen Wal im Roman von Herman Melville.
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Gleich am Anfang ringt Charlie todgeweiht um Luft, wie ein Wal unter Wasser begraben unter der Masse seines eigenen Körpers. Und das unter den irritierten und hilflosen Blicken eines jungen Mannes, der ihm im Auftrag der Sekte, die ausgerechnet „Neues Leben“ heißt, einen Besuch abstattet.
Ein Essay über Moby Dick hält den menschlichen Wal am Leben
Das einzige, was der 270-Kilo-Masse Mensch da in ihrem Fernsehsessel hilft, ist ein Essay über Moby Dick, das der Gast nun vorträgt und ihn damit am Leben hält, wenigsten solange, bis Freundin und Pflegekraft Liz vorbeischaut, ihn untersucht und ihm klar macht, dass er nur die Wahl zwischen Hospital und Friedhof hat.
Eingezwängt ist er in diese Höhle seiner Wohnung, die wirkt wie unter Wasser, zumal es vor den kleinen schmierigen Fenstern, wenn sie nicht verhangen sind, ohnehin nur regnet. Eingezwängt fühlt sich auch der Zuschauer, den Darren Aronofsky („Mother“, „The Wrestler“) mit dem alten, ungewohnten TV-Format von 4:3 konfrontiert. Das verstärkt die beklemmende und beengende Wirkung des Kammerspiels in dem heruntergeranzten Apartment noch. Insofern bleibt sehr viel von dem Theaterstück von Samuel D. Hunter, das dieser nun als Drehbuchautor für die Leinwand umsetzt.
Jedes Klopfen an der Tür wird zur Bedrohung
Ein Draußen gibt es folgerichtig kaum nicht, jedes Klopfen an der Tür scheint der siechende Koloss als Bedrohung zu empfinden. Egal, ob es sich um den jungen Missionar, den Pizzaboten oder seine Pflegerin und Freundin handelt. Die Tochter, deren Gegenwart er sich wünscht, will nichts von ihm wissen, sogar als er ihr Geld für ihre Anwesenheit bietet.
Ellie hadert mit der Schule und dem Leben, seit acht Jahren hat sie ihren Vater nicht mehr gesehen. Sie kommt nur zu ihm, weil sie etwas von ihm will: Essays für die Schule. Denn Fettwanst Charlie ist Literaturdozent, beliebt und erfolgreich, gibt Fernkurse. Wir sehen eingangs die Videokonferenzkacheln und in der Mitte das schwarze Viereck des Dozenten: Er behauptet, seine Kamera sei defekt. Er kann und will sich nicht sehen lassen.
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Der Kinobesucher aber darf hinschauen, wie er kämpft für die Wahrheit in den Texten seiner Schüler und vor allem für die Wahrheit dem eigenen Leben gegenüber, vor dessen Gefühlen er sich in seinem Fettpanzer verschanzt hat, aus dem er keinen Ausweg mehr findet.
Schmerzhaftes, großartiges Kino und ein bisschen Bibelfilm
Schmerzhaftes und großartiges Kino ist das und sehenswert. Auch wenn der Kampf zwischen der Wahrheit im Leben und im Schreiben und der vermeintlichen Wahrheit der wortwörtlich verstandenen Bibel ein sehr amerikanischer ist.
Die vielleicht erstaunlichste Wahrheit für den Zuschauer ist indes, dass man nach einer Viertelstunde Horror des Lebens und Leidens über den Körper eines Fünfeinhalb-Zentner-Riesen beinahe hinwegsieht aus Respekt, ja Zuneigung zu Charlie, der sich zwar nicht mehr aufrichten kann, aber aufrichtiger ist als alle anderen in diesem Werk. Und diese Leistung ist dann eben doch den Oscar wert.