Essen. Neu im Kino: Reiner Holzemer hat einen Dokumentarfilm über den Schauspielstar Lars Eidinger gedreht. Neun Monate lang hat er ihn begleitet.
Noch wenige Minuten. Hinter der Kulisse läuft Lars Eidinger in seiner roten Bühnen-Unterhose Kreise. Ein paar letzte Sprechübungen, gleich wird er zum ersten Mal den Jedermann spielen. Er wirkt nervös, obwohl er meint, es nicht zu sein. Filmemacher Reiner Holzemer („Dries“, „Anton Corbijn – Most Wanted“) hat die Szene bei den Salzburger Festspielen des Jahres 2021 an den Beginn und ans Ende seiner Doku gestellt. Mit „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ versucht er eine Annäherung an einen der bekanntesten Schauspieler des Landes. Eidinger spielt Eidinger.
Anfangs sieht man den 47-jährigen Mimen hinten im Auto sitzen, wo er mit dem Handy Interviews führt. Die Kamera folgt ihm in seine Wohnung – beobachtet ihn beim Rollenlernen auf der Couch. Hugo von Hofmannsthal und sein „Jedermann“ bringen Eidinger ins Schwärmen: „Da hat jemand etwas über das Leben verstanden, wovon ich profitieren kann. In der Hoffnung, dass ich die Zuschauer mitnehmen kann.“
Schon als Kind war Lars Eidinger ein ehrgeiziger Sportler
Der Schauspieler, 1976 in Berlin-West geboren, wusste früh, dass er ans Theater wollte. Davon berichtet er vor der Kamera. Als Kind entwickelte er beim Sport großen Ehrgeiz. 1995 ging er an die Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, die er 1998 mit Kolleginnen und Kollegen wie Nina Hoss, Fritzi Haberlandt und Devid Striesow verließ. Im Film geht es auch um seine Abschlussprüfung: Eidinger als Schillers Karl Moor, der vor dem ersten Wort erstmal zwei Minuten lang in aller Seelenruhe ein Bonbon lutschte („Mir dauert das zu lange“).
Regisseur Reiner Holzemer (auch Drehbuch und Kamera) hat den Schauspieler neun Monate lang begleitet. In seiner Doku lässt er Paraderollen wie Hamlet und Richard III. an der Berliner Schaubühne vorüberziehen, hier konnte der Theater-Berserker richtig ausflippen. Eidinger, die Rampensau. „Auf der Bühne kann ich Sachen machen, die ich sonst nie machen würde“, sagt er an einer Stelle. „Auf der Bühne bin ich frei, da werde ich ich selbst.“
Isabelle Huppert und Juliette Binoche als internationale Filmpartnerinnen
Film- und Schauspielkolleginnen wie Isabelle Huppert, Juliette Binoche, Angela Winkler und („Jedermann“-Buhlschaft) Verena Altenberger sprechen über seine Anziehungskraft, seine Präsenz, seine Unvorhersehbarkeit und sein Riesen-Ego; der Freund, Regisseur und Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier schwärmt von Eidinger und Eidinger von ihm. Eidinger bei der Berlinale, bei Dreharbeiten in Paris, in seinen Filmen, auf dem Tennisplatz und als DJ. Und in Gedanken vertieft, „Sein oder nicht sein – was bedeutet das eigentlich?“
Und immer wieder kehrt der Film zu den Proben für den Salzburger „Jedermann“ zurück, zum berühmten Stück über den Tod des reichen Lebemannes.
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Ein Glück, denn hier spielen sich die besten Szenen ab. Hier kann man erleben, wie sich Eidinger seine Rolle erarbeitet und erfährt, dass er von links schöner aussieht als von rechts („Wegen der Haare“) und was seine Bühnenschuhe mit Absatz mit seinen Auftritten zu tun haben („Ich könnte niemals in meinen Schuhen eine Figur wie Hamlet, Richard oder Jedermann spielen. Das funktioniert für mich nur über den Schuh“).
Bei einer „Jedermann“-Probe flippt Lars Eidinger aus
Vor allem bleibt die Szene mit Edith Clever als Tod im Gedächtnis: ein schauspielerisches Ereignis. Am Ende wird sich das Ensemble im Beifall sonnen.
Weniger stark ist die Doku in ihrer Gesamtheit geraten. Die 90-minütige Lobeshymne wird irgendwann lang. Am spannendsten ist es, wenn Eidinger mal ansatzweise aus der Rolle fällt, etwa wenn er mit den sozialen Medien hadert oder bei einer „Jedermann“-Probe ausflippt, weil Regisseur Michael Sturminger nicht ganz bei der Sache ist.
Insgesamt ein Fanporträt, das sich dem Künstler ehrfurchtsvoll nähert, den Menschen hinter der Maske aber kaum erreicht. Theaterfans dürften trotzdem auf ihre Kosten kommen.
<<< Lars Eidinger in Theater, Film und Fernsehen <<<
Lars Eidinger ist seit 1999 Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne. Er war in Kinofilmen wie „Code Blue“ , „Hell“, „Fenster zum Sommer“, „Was bleibt“, „Alle Anderen“, „Tabu – es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“ zu sehen.
Auch in der Fernsehserie „Babylon Berlin“ wirkte er mit, außerdem im „Tatort“ und „Polizeiruf 110“.