Köln. Die Kölner Arena zweimal gefüllt, das Stadion-Konzert fast ausverkauft und jetzt ein neues Album: AnnenMayKantereit mit „„Es ist Abend und...“

Das vierte Album von AnnenMayKantereit, das heute erscheint, wird in der kommenden Woche die Charts anführen. Eine etwas riskante Prophezeiung, aber im Fall der Platte mit dem fast romanhaften Titel „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ stimmt einfach die Mischung absolut. Am Ende des Winters schmeckt das vierte Album von Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit erfrischend leicht nach Sommer und Sorglosigkeit. Es gibt uns zurück, was uns so lange gefehlt hat: Gemeinschaft, Geselligkeit und das Gefühl, wieder spontan agieren zu können. Aber zum Glück ohne dabei in zuckriger Gute-Laune-Limonade ersaufen zu müssen.

AnnenMayKantereit werfen Blicke zurück in die Kindheit

Der mystische Song „Weißhausstraße“ setzt einen dunklen Kontrapunkt mittenmang in die hellen Sonnensegel. „3 Tage am Meer“ erzählt von Erschöpfung und dem Wunsch nach Erlösung aus dem Überdruckkessel, die immerscharfe Sense der Liebe metzelt gnadenlos weiter, auch wenn man’s am liebsten nicht wahrhaben möchte („Du tust mir nie wieder weh“). Songs wie „Als ich ein Kind war“ oder „Erdbeerkuchen“ werfen Blicke zurück in eine Kindheit, die gar nicht mal so lange her ist. Und doch, unterm Strich, sind es mehr als zwei Jahrzehnte Vergangenheit.

AnnenMayKantereit, zu Zeiten ihrer ersten selbst aufgenommenen EP gerade mal „21, 22, 23“, sind Brückenschläger für Menschen ihrer Generation. Auch ältere Semester hat die Stimme des Frontmanns gleich beim ersten Hören gekascht: da sang jemand wie von 1000 Flaschen Whisky und von Unmengen Zigaretten imprägniert – und hatte doch eben erst das Abi in der Tasche: „Zu-hausee bist immer nur duuuu“.

AnnenMayKantereit: Von der Schülerband zum Stadionfüller

Schon als Schüler spielten AMK zusammen, machten später Straßenmusik. Ausverkaufte Arenen (wie kurz vor Weihnachten zweimal hintereinander die in Köln) oder Konzerte in Stadien waren da längst noch nicht in Sicht. „Vom Bordstein zur Skyline“ (Henning May über den Werdegang der Band bei einer Konzertansage, in Anlehnung an Bushidos erstes Solo-Album).

Dass der 31-Jährige auch ein großartiger Stückeschreiber mit einem sicheren Gefühl für Worte und Sprachbilder ist, stellt er auf „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“ einmal mehr unter Beweis. Für Sätze wie „Früher waren die Wiesen grün und die Bullen auch“ (aus: „Als ich ein Kind war“) könnte man ihn knutschen. Weil man erst mal googeln muss, ab wann die Polizeiuniformen von gras- zu himmelsfarben wechselten (bundesweit ab 2004 – für alle, die nicht googeln wollen).

Henning May singt einmal sogar Zeilen auf Kölsch – und eine Schunkel-Nummer

Auch Liebeserklärungen finden sich auf dem Album: An „Katharina“, deren Nachnamen wir nie erfahren werden; an den Fußball in seiner reinen, rohen Aschenbahnform („Kein Stern“); oder an die Heimatstadt, der zwei von drei Bandmitgliedern (May und Kantereit) vorübergehend den Rücken gekehrt haben, um nach Berlin zu ziehen. In „Tommi“, geht die Liebe gar so weit, dass May ein, zwei Zeilen auf Kölsch singt.

All das in wechselnden stilistischen Gewändern, mit rockigem oder latin-haften Gepräge, als schlichte Ballade, auf leisen, jazzigen Katzenpfoten oder als nicht nur für Rheinländer unwiderstehliche Mitschunkel-Nummer.

AnnenMayKantereit luden zur Aufnahme des Albums Freunde ein

Den Sommer und die Sorglosigkeit, die Gemeinschaft und Geselligkeit bringt vor allem das Titelstück zurück. „Es ist Abend“ beschreibt einen Zustand, der ewig dauern könnte. Sechs Wochen im Sommer luden AnnenMayKantereit Freundinnen und Freunde in ihren Kölner Proberaum ein, um dabei zu sein, wie das neue Album entsteht. „Man ruft die einfach an und die kommen vorbei“, beschreibt Christopher Annen dieses Glücksgefühl nach langer Isolation, „wir haben an unseren Songs gearbeitet, die Leute haben da abgehangen, ihre Nicht-Musiker-Meinung zu den Stücken abgegeben. Und zwischendrin haben wir draußen gesessen, ein Bier getrunken, was ganz anderes gemacht.“

„Wir sitzen halt gerne viel rum mit unseren Menschen, die wir gerne haben. Und viele kannten das auch schon, von unseren Proben vor der Coronazeit“, fügt Severin Kantereit an. Zusammen mit dem ekstatischen Opener „Lass es kreisen“ und dem tanzwütigen „Ausgehen“ wird daraus ein Fest des Lebens.